Neue Ermittler im Fall Jalloh
Auch Rechtsausschuss des Landtags befasst sich mit dem Tod des Asylsuchenden
Die Staatsanwaltschaft in Dessau-Roßlau ist nicht mehr für die Ermittlungen zum Tod des am 7. Januar 2005 in einer Polizeizelle verbrannten Asylsuchenden Oury Jalloh zuständig. Der Fall wird jetzt von Ermittlern in Halle bearbeitet. Diese bereits im Juni vom Generalstaatsanwalt des Landes Sachsen-Anhalt gefällte Entscheidung wurde erst jetzt bekannt - rund ein Jahr nach einem im sächsischen Schmiedeberg durchgeführten Brandversuch, dessen Resultate entgegen damaligen Ankündigungen noch immer nicht bekannt geworden sind.
Jalloh starb in einem Feuer, während er in einer Gewahrsamszelle der Polizei an Händen und Füßen auf einer Matratze gefesselt war. Die Dessauer Staatsanwälte vertraten in zwei Gerichtsprozessen gegen Polizeibeamte die Überzeugung, der 21-Jährige aus Sierra Leone habe die Matratze selbst in Brand gesteckt. Diese These wird von der »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« angezweifelt; sie bezeichnete den Tod als »Mord«.
In einem 2013 von ihr bei dem irischen Sachverständigen Maksim Smirnou in Auftrag gegebenen Gutachten kam dieser zu dem Schluss, der Zustand von Leichnam und Matratze lasse sich nur durch die Verwendung von Brandbeschleuniger erklären. Der Generalstaatsanwalt erklärte jetzt, durch Smirnous Gutachten hätten sich »Zweifel verdichtet«, die den Anklägern schon während des letzten Prozesses am Magdeburger Landgericht gekommen seien, in dem ein Polizeiführer 2012 zu einer Geldstrafe verurteilt worden war. Die Behörde leitete deshalb ein neues »Todesermittlungsverfahren« ein, in dessen Rahmen im August 2016 der Versuch in einem Brandschutzlabor im Erzgebirge stattfand.
Was dieser ergab, ist bisher nicht bekannt - obwohl der Gutachter Kurt Zollinger damals erklärte, man werde »in einigen Wochen« informieren. Zum zwölften Jahrestag von Jallohs Tod im Januar 2017 sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft dem »nd«, die Auswertung habe »dann doch mehr Zeit in Anspruch genommen«; Zollingers Gutachten stünden noch aus. Dagegen berichtet die »Freie Presse« jetzt, das beauftragte Institut habe die Ergebnisse des Versuchs bereits im Oktober 2016 an die Staatsanwaltschaft übergeben. Das in Chemnitz erscheinende Blatt berichtet auch von potenziell höchst brisanten Einschätzungen der Experten, die einen »Hitzeinhalationsschock« als Ursache von Jallohs Tod für »zweifelhaft« halten. Zudem passten das Brandbild nach dem Versuch, bei dem die Matratze ohne Brandbeschleuniger entzündet wurde, und der tatsächliche Zustand der Leiche nicht zusammen. Auch die »Welt« schreibt unter Berufung auf Justizkreise, es gebe »erhebliche Zweifel«, ob Jalloh tatsächlich an den Folgen des Feuers in der Zelle gestorben sei.
Sollte sich das bestätigen, wäre die zentrale Grundannahme der Staatsanwaltschaft aus zwei langen Gerichtsprozessen erschüttert. Landespolitiker wie der Grüne Sebastian Striegel sind alarmiert. Die »Zweifel an der bisherigen Darstellung mehren sich«, erklärte er und fügte an, ein »Verschleppen« der Ermittlungen sei »nicht hinnehmbar«. Mit den aktuellen Entwicklungen in dem Fall soll sich jetzt der Rechtsausschuss des Landtages befassen. Auch die Linksabgeordnete Henriette Quade sieht »drängende Fragen unbeantwortet« und listet einige von ihnen auf, nicht zuletzt die, ob es eine »Informations- und Auskunftssperre« gab. Quade fügt an, ein Wechsel der Staatsanwaltschaft, wie er jetzt vollzogen wurde, sei »äußerst selten«; es müsse also »dringende Gründe« dafür geben.
Den Eindruck sucht der Generalstaatsanwalt zu zerstreuen. Eine »irgendgeartete Kritik« an der Arbeit in Dessau sei mit der Übertragung des Falles nach Halle »nicht verbunden«, heißt es; auch der Vorwurf, man habe die Aufklärung verschleppt und Informationen zurückgehalten, wird unter Verweis auf eine vorgeschriebene Wahrung des »Ermittlungsgeheimnisses« zurückgewiesen. Als wesentlichen Grund für die Verlagerung führt die Behörde die hohe »dienstliche Belastung« der Ermittler in Dessau an, wo der zuständige Staatsanwalt in den Ruhestand gegangen sei und die Nachfolgerin mit dem Mordfall an der chinesischen Studentin Yangjie Li befasst gewesen sei.
Eva von Angern, Rechtsexpertin der Linkspartei im Landtag, merkt freilich an, dass nach Auskunft der Landesregierung in Dessau drei Staatsanwälte fehlen, in Halle aber sogar fünf: »Die genannten Gründe überzeugen nicht.« Dennoch werden nun die Gutachten zum Fall Jalloh in Halle ausgewertet. Wann etwas zum Inhalt publik wird, ist unklar. Man werde, erklärt die Generalstaatsanwaltschaft, »zu gegebener Zeit informieren«.
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