Keine Angst vor niedrigen Löhnen
SPD beklagt ungleiche Einkommen / Sorge vor sozialem Abstieg laut Studie auf Tiefpunkt
Das Bundeswirtschaftsministerium hat sich mit einem Vorstoß zur Lohnungleichheit in den Bundestagswahlkampf eingeschaltet. In einem Faktenblatt, aus dem die »Süddeutsche Zeitung« am Dienstag zitierte und das dem »nd« vorliegt, warnt das von Brigitte Zypries (SPD) geführte Ministerium vor wachsender Ungleichheit zwischen den Beschäftigten.
Demnach hätten Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen seit den 1990er Jahren auf Kaufkraft verzichten müssen. »Im Jahr 2015 waren die realen Bruttolöhne der unteren 40 Prozent zum Teil deutlich niedriger als 1995«, heißt in dem Papier. Gutverdiener und Kapitalbesitzer hätten hingegen deutliche Einkommenzuwächse verbucht. Infolgedessen befinde sich die Lohnungleichheit derzeit auf »historisch hohem Niveau«. Der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Matthias Machnig (SPD), nannte diese Entwicklung einen Stachel im Zusammenhalt Deutschlands und forderte, Geringverdiener zu entlasten.
Die Spitzenkandidatin der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, warf der Regierungspartei SPD indes Versäumnisse vor. Bei der Leiharbeit werde noch immer Lohndumping betrieben. Auch bleibe die Verbreitung allgemeinverbindlicher Tarifverträge gering. Im März hatte sich das Wirtschaftsministerium mit einem »Zehn-Punkte-Plan« ebenfalls für stärkere Tarifbindung und gezielte Abgabenentlastungen bei Geringverdienern ausgesprochen. Zur Belastung von Gutverdienern äußerte sich das Ministerium hingegen nicht.
Einer am Dienstag veröffentlichten Studie des Meinungsforschungsinstituts YouGov zufolge halten 40 Prozent der Wähler soziale Gerechtigkeit für ein »sehr großes Problem« in Deutschland. Für ein Viertel der Wähler ist das Thema sogar wahlentscheidend. Allerdings zeigen die Ergebnisse einer ebenfalls durch YouGov erstellten Studie vom Juni, dass sich die Bürger über ihr Verständnis von sozialer Gerechtigkeit völlig uneins sind. 22 Prozent der Wähler verstehen demnach unter sozialer Gerechtigkeit vor allem Leistungsgerechtigkeit, weitere 22 Prozent Chancengleichheit und 21 Prozent eine staatliche Absicherung gegen Armut. Nur 12 Prozent halten eine staatliche Umverteilungspolitik mit dem Ziel, gleiche Lebensbedingungen zu schaffen, für sozial gerecht. Laut der You-Gov-Studie schrieben die Wähler der SPD die größte Kompetenz zu, soziale Gerechtigkeit zu schaffen - um Umverteilung geht es dabei in den wenigsten Fällen. Die Studienautoren stellen den Sozialdemokraten in Aussicht, mit einem allgemein auf soziale Gerechtigkeit ausgerichteten Wahlkampf Wähler der Linkspartei und der AfD zu gewinnen. Ebenfalls hohe Kompetenz in Fragen sozialer Gerechtigkeit sprechen Wähler auch CDU/CSU zu.
Die Wechselstimmung in der Wählerschaft ist verhalten. Diesen Eindruck bestätigt eine ebenfalls am Dienstag veröffentlichte Studie der Universität Leipzig. Trotz hoher Erwerbsrisiken und zunehmender Lohnungleichheit ist die Abstiegsangst in Deutschland bei den Angehörigen aller sozialen Schichten so schwach ausgeprägt wie seit 25 Jahren nicht. Besonders stark soll sie nach der Rezession 2009/2010 zurückgegangen sein. Zu vermuten sei, dass sich die Deutschen zunehmend besser mit neuen Unsicherheiten arrangiert hätten, schreiben die Autoren. Obwohl sich Unterschiede zwischen den Schichten nicht mindern, nehme das mentale Sicherheitsgefühl zu. Parteien, die mehr Umverteilung von oben nach unten fordern, könnten daher nicht mit einem Zugewinn an Wählerstimmen rechnen.
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