Zwischen Aufklärung und Kampagne
Im plötzlich gestarteten Landtagswahlkampf in Niedersachsen liefert die SPD der Opposition viel Material
Zusammen mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) sei der Parteifilz in Niedersachsens Staatskanzlei und die Ministerien eingezogen! Als Rot-Grün Anfang 2013 die Regierungsgeschäfte übernahm, wurde das Land zu einer Art Selbstbedienungsladen! Gefälligen Genossen seien gut bezahlte Posten zugeschustert worden! Gern zieht die Opposition aus CDU und FDP im Landtag von Niedersachsen solche verbalen Giftpfeile aus dem Köcher.
Dass derselbe einfach nicht leer werden will, liegt freilich durchaus auch an den Gescholtenen. Nun ist er wieder einmal mit einem schmerzhaften Geschoss gefüllt worden: mit einer weiteren Vergabeaffäre, die sich arg filzig anfühlt und dem Leiter der niedersächsischen Vertretung in Berlin, Staatssekretär Michael Rüter, den Job gekostet hat. Auch die SPD könnte durch das Geschehen leiden, womöglich Stimmen einbüßen im zweitgrößten Bundesland.
Dort bohrt sich schon seit Juni ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss durch unzählige Akten und vernimmt Zeugen, um Licht ins Dunkel umstrittener Auftragsvergaben durch die Landesregierung zu bringen. Seit dem plötzlichen Seitenwechsel der früheren Grünen-Abgeordneten Elke Twesten steht dieser Ausschuss nun im Zentrum des plötzlich anberaumten Wahlkampfes. Und seiner Arbeit rückt immer näher an die Staatskanzlei heran.
So hatte das Gremium veranlasst, diese möge in ihrem Dienstbereich »interne Aufklärungsarbeit« leisten. Das geschah dann auch, und dabei kam zuletzt heraus: Die Landesvertretung in Berlin hatte zwischen 2013 und 2016 fünf Aufträge, Dienstleistungen im Internetbereich im Gesamtwert von 153 000 Euro stets der SPD-nahen Kölner Agentur namens »Squirrel & Nuts« erteilt.
Die Prüfer resümierten: »Sämtliche dieser Vergabevorgänge weisen zum Teil erhebliche abgabenrechtliche Mängel auf.« Der Vorgang, der schließlich am Dienstag Rüters Landeskarriere beendete, betraf einen Newsletter. Die Landesvertretung bat sechs Firmen um Angebote für dessen Erstellung, zwei Unternehmen reagierten mit einem Angebot. Doch keines von ihnen bekam den Auftrag. Den ließ Rüter stattdessen jener Firma erteilen, mit der er schon vor Jahren als SPD-Landesgeschäftsführer gute Kontakte pflegte: »Squirrel & Nuts«. Das sei ein schwerer Verstoß gegen das Vergaberecht, erklärte Staatskanzleichef Jörg Mielke.
Das gleiche Urteil hat offenbar Stephan Weil gefällt, und so warf er Michael Rüter am Dienstag im Eilverfahren aus dem Amt. Der Geschasste fällt allerdings recht weich: Für drei Monate bezieht er noch das gewohnte Gehalt von 10 500 Euro brutto, danach drei Jahre lang allmonatlich rund 7500 Euro, das sogenannte Übergangsgeld. Zur Leitung der Landespräsenz in Berlin schickt Stephan Weil an Rüters Stelle nun seine Staatssekretärin Birgit Honé in die Bundeshauptstadt.
Dass die Opposition solche Vorgänge ausschlachtet, kann ihr niemand zum Vorwurf machen - auch wenn sich jüngst die Aufregung um eine Regierungserklärung Weils zum VW-Dieselskandal im Jahr 2015 als reichlich gewollt herausstellte. Schließlich hatte nicht nur der amtierende Regierungschef sein Manuskript mit dem in heikler Lage befindlichen Konzern abgestimmt, sondern war eine solche Koordinierung allgemein üblich - schließlich hält das Land 20 Prozent an dem Konzern. Doch arbeitet die Opposition anderweitig daran, Weil persönlich ins Visier zu nehmen.
Schon bald dürfte der Ministerpräsident eine Einladung zum Untersuchungsausschuss erhalten. Er soll dort als Zeuge aussagen, aber daraus macht die Opposition eine gefühlte Beschuldigung machen: »Es ist auffällig, dass es im direkten Umfeld des Ministerpräsidenten zu Unregelmäßigkeiten kommt«, sagt Uwe Schünemann, CDU-Obmann der Union im Ausschuss und als Ex-Innenminister als Hardliner bekannt. »Offenbar hat der Regierungschef sein Umfeld nicht richtig im Griff«, schimpft er.
Damit zielt Schünemann auch auf Regierungssprecherin Anke Pörksen. Auch sie war unlängst wegen einer Auftragsvergabe unter Druck geraten, habe sie bei einer solchen doch einen SPD-nahen Kommunikationsberater »rechtswidrig bevorzugt«, sagt die Opposition. Sie forderte seinerzeit erfolglos die Entlassung Pörksens, die im Rang einer Staatssekretärin fungiert.
Entlassen dagegen hatte im Mai dieses Jahres Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) seine Staatssekretärin Daniela Behrens (SPD) wegen zweifelhafter, teurer Auftragsvergaben. Zuviel Steuergeld lockergemacht hatte auch der Pressesprecher im Hause Lies bei einem Werbeauftrag; der Mann wurde versetzt.
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