Netflix spekuliert mit Milliarden auf die Zukunft
Klassische TV-Sender und Kinoketten sehen sich in zunehmender Konkurrenz mit Videostreaminganbietern
Offenheit und Transparenz gehören nicht zu den Stärken von Netflix. Während die TV-Quoten für klassisch lineares Fernsehen für jedermann einsehbar sind, hält sich der Streaminganbieter für Filme und Serien mit konkreten Abrufzahlen zurück. Als am Montag jedoch die gefühlt halbe US-Bevölkerung ihre Augen weg von den Bildschirmen und hin in Richtung Himmel wendete, um der Sonnenfinsternis beizuwohnen, sah sich Netflix zu einem durchaus vielsagenden Twitterbeitrag veranlasst: Die PR-Abteilung fragte ihre Kunden, wo denn etwa 10 Prozent der sonst zu diesem Zeitpunkt üblichen Zuschauer geblieben seien. Fast könnte man meinen, Netflix sei etwas enttäuscht gewesen, dass dieses Naturschauspiel vielen US-Amerikanern wichtiger gewesen ist, als auf der Plattform die neusten Videos zu schauen. Dabei hat der Streamingdienst keinen Grund, sauer auf seine Kundschaft zu sein: Inzwischen bezahlen über 50 Millionen amerikanische Haushalt für ihren Zugang zur Videoplattform monatlich mindestens etwa 8 Euro, weltweit sind es über 100 Millionen Nutzer. Auf dem US-Markt vollzieht sich derzeit ein radikaler Wandel: Allein im ersten Quartal dieses Jahres verloren die großen klassischen Kabelfernsehanbieter und Pay-TV-Anbieter gemeinsam mehr als eine halbe Million Kunden.
Die Gründe dafür sind vielfältig: Neben veränderten Sehgewohnheiten der Zuschauer - viele wollen einfach nicht mehr zu einem festen Zeitpunkt vor dem TV-Gerät sitzen müssen und dabei auch noch von ständigen Werbeunterbrechungen genervt werden - haben Anbieter wie Netflix mittlerweile Milliarden investiert, um nicht nur Inhalte von anderen Produktionsfirmen einzukaufen, sondern sich selbst als Filmemacher zu betätigen.
Und wie es üblich für viele US-Unternehmen ist, gilt auch für Netflix die Devise: Denke groß! Erst vor wenigen Tagen erklärte der für die Inhalte zuständige Manager Ted Sarandos gegenüber dem Magazin »Variety«, im nächsten Jahr insgesamt sieben Milliarden US-Dollar für Eigenproduktionen ausgeben zu wollen. Damit setzt der Videoanbieter seine aggressive Expansionsstrategie fort. Zum Vergleich: 2016 investierte Netflix fünf Milliarden US-Dollar für eigene Filme, Serien und Shows. Letztlich bleibt den Kaliforniern kaum etwas anderes übrig, drückt den Konzern doch eine Schuldenlast von 20 Milliarden US-Dollar. Bei all den gigantischen Plänen steckt Netflix in einem ähnlichen Dilemma wie so viele andere relativ junge Unternehmen aus der Tech-Branche: Gewinne konnte man bisher keine vorzeigen. Also greifen sie auf ein, neben dem aggressiven Wachstum, zweites aus dem Silicon Valley bekanntes Vorgehen zurück: Mögen die Gewinne auch nicht fließen, so inszeniert sich das Unternehmen wenigstens als Gewinner. Aus Sicht der Filmkritiker ist dieser Ruf auch durchaus berechtigt: Als bekannteste Eigenproduktion aus dem Hause Netflix gilt das Politdrama »House of Cards«. An der inzwischen seit fünf Staffeln laufenden Serie um den machtgeilen US-Politiker Francis Underwood lässt sich ein Kompromiss erkennen, den das Unternehmen zwecks weiterer Einnahmequellen bei eigenen Produktionen eingeht: Längst nicht alle Eigenproduktionen laufen exklusiv auf der eigenen Plattform, oft verkauft Netflix Lizenzen an die klassischen TV-Sender mit linearem Programm.
Auch den Traditionalisten im Kinogeschäft stößt die Netflix-Strategie, Filme möglichst exklusiv auf der eigenen Plattform zu vermarkten, übel auf. Bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes ließen die Veranstalter den Film »Okja« nur im Festivalprogramm zu, nachdem Netflix versicherte, den Streifen zumindest in einigen wenigen Lichtspielhäusern zu zeigen. Ungemach droht auch von der künftigen Konkurrenz: Der Unterhaltungsgigant Disney erkannte inzwischen das Potenzial einer eigenen Videoplattform und kündigte deshalb an, ab 2019 selbst in das Geschäft einzusteigen. Pech für Netflix: Bisher exklusiv von Disney bezogene Inhalte entfallen dann. Tech-Riese Apple sprang ebenfalls mit etwas Verspätung 2015 auf den Hype auf, spielt auf diesem Feld aber bisher ausnahmsweise noch nicht in einer Liga mit den Großen der Branche. Auf Augenhöhe mit Netflix behaupten kann sich vor allem der eigentlich primär als Versandhändler bekannte Onlineriese Amazon. Vergleichbar sind die Angebote aber nur schwer: Während Netflix sich auf das Videogeschäft konzentriert, bietet Amazon den Zugang zu seinem Videoportal in Kombination mit seiner Versandpauschale »Prime« an.
Doch selbst bei Livesendungen, bisher eine der Stärken der klassischer TV-Sender, mischen die Videoportale inzwischen mit. In Kooperation mit Eurosport überträgt Amazon seit dieser Saison unter anderem 45 Bundesligaspiele. Auch Tennisturniere, die Motorradweltmeisterschaft sowie die Olympischen Winterspiele 2018 gehören zum Programm, das dann doch wieder an das lineare Fernsehen erinnert. Aussterben wird dieses also nicht.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.