Grabesstille versus Abrissfreude

Schauspielaktion vor der bedrohten Fachhochschule Potsdam

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.

»Die Spitze des Berges funkelt im Abendsonnenschein«, heißt es in Heinrich Heines »Loreley«. Am Sonntagabend funkelte am Potsdamer Alten Markt die Kuppel der Nikolaikirche, und die Abendsonne beschien einige Hundert Gerechte und Ungerechte.

Die von den Oberschichten getragene Bürgerinitiative »Mitteschön« hatte zur Dinner-Kundgebung eingeladen, sie war in Sektlaune. Aber eigentlich gibt es für sie ja nichts zu protestieren. Ihr Ziel, die Wiedererlangung des historischen Zentrums unter anderem durch den Abriss des Fachhochschulgebäudes, ist und bleibt das Ziel der Stadtregierung. Wie um das ganze sinnfällig zu machen, parkte bereits am Freitag vor der abgesperrten und mit Videoüberwachungstechnik bestückten Fachhochschule ein Kleinlaster, der die Abbildung einer Axt und einer Säge auf der Kühlerhaube trug.

Im November soll es richtig losgehen. Ein beträchtliches Stück Potsdam, das bisher der öffentlichen Hand gehörte, wird privatisiert. Das war für »Mitteschön« ein Grund, an diesem vom Wetter her schönen Abend die Korken knallen zu lassen. Natürlich in der gebotenen Vornehmheit. Sanft klirrten die Gläser, gedämpft der Triumph. Man wolle auf diese Weise demonstrieren, dass nicht alle Potsdamer gegen die Politik der Stadt und den Abriss der Fachhochschule seien, hatte Sprecherin Barbara Kuster zuvor geäußert. Szenisch stimmig war dann auch, dass die danebenstehende abrissgeweihte Fachhochschule die Erste war, die an diesem Abend in den Schatten und dann ins Dunkel der Nacht geriet. Ausdrücklich waren diesmal auch Gegner des Abrissplans eingeladen. Die kamen und hatten das kleine Schwarze angelegt beziehungsweise das, was in ihren Kreisen darunter verstanden wird.

Knapp zwei Dutzend zumeist junge Menschen in schwarzer Kluft hatten sich das Gesicht weiß gekalkt. Die Münder waren mit einem dicken schwarzen Strich durchkreuzt. Sie tauchten auf, wie von Geisterhand gelenkt, schweigend, düster. Zweimal umrundeten sie die edle Feier, dann mischten sich einige unter die zumeist älteren Mitteschönen. Dort wurden sie nach einigen Minuten von der Polizei hinausgeleitet, in zwei oder drei Fällen wurden die Zombies auch herausgetragen. Das Ganze spielte sich in gespenstischer Stille ab. Etwa die Hälfte der Kunstaktivisten legte sich dann auf den Boden, wollte passiv bleiben.

»Kann mir einer mal dieses ›Mitteschön‹ erklären«, stand auf einem kleinen Blatt Papier, das einer der Aktivisten hoch in den Glanz der Abendsonne hielt. »Mitteschön«-Rednerin Monika Schulz-Fieguth begrüßte ausdrücklich die wirklich Protestierenden, schwelgte dann aber gleich wieder in den »wichtigen Bauten« an diesem »wunderschönen Platz«, denen noch weitere folgen würden. Zur Wendezeit habe an diesem Ort »gar nichts« gestanden, behauptete sie und sagte damit die Unwahrheit.

Denn mit dem Geld des SED-Staates wurde die im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigte Nikolaikirche restauriert. Auch das Ensemble um das Alte Rathaus ist zu DDR-Zeiten fachgerecht instand gesetzt worden, ebenso wie der markante Obelisk im Zentrum des Alten Marktes. Insofern hat die DDR ihren Beitrag zur heutigen Ausstrahlung des Alten Marktes geleistet - und zwar mit originaler Bausubstanz und nicht mit vorgespiegelter Historie, wie sie das Landtagsschloss und das Palais Barberini darstellen und wie sie als Nachfolgebebauung für die Fachhochschule vorgesehen ist.

Der Abriss der Fachhochschule soll bis zum Herbst kommenden Jahres abgeschlossen sein. Zunächst sollen die mit Asbest und anderen Dämmstoffen belasteten Innenräume entkernt werden, sagte die Geschäftsführerin des Sanierungsträgers Pro Potsdam, Sigrun Rabbe, am Montag. »Anschließend wird das Gebäude bis zum Herbst 2018 Stockwerk für Stockwerk abgetragen.«

Derzeit werden bereits die rund 150 Wabenelemente aus Aluminium entfernt, die bislang die Fassade schmückten. Die Waben sollen der Fachhochschule für den Studiengang Restaurierung, dem Potsdam-Museum und anderen Institutionen überlassen werden. »Wir haben auch Anfragen von rund 300 Privatleuten, die gerne ein Wabenelement haben möchten«, sagte Rabbe.

Gegen den Abriss des Skelettbaus aus den der 1970er Jahren stellt sich das Bündnis »Stadtmitte für alle«. Es möchte den Bau als »Haus der Stadtgesellschaft« weiternutzen und unterbreitete vergeblich ein Kaufangebot in Höhe von sechs Millionen Euro. Die Stadt lehnte ab, weil auf dem Gelände Wohn- und Geschäftshäuser mit teils historisierenden Fassaden gebaut werden sollen. mit dpa

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