Aus Kabul ins duale System

Zwei junge Afghaninnen zeigen, wie gut Integration gelingen kann

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie schaffen das. Sahar Abdulqasem, 18 Jahre, und ihre Schwester Sara, 17 Jahre, sind erst zwei Jahre in Berlin. In der kurzen Zeit haben sie bereits Deutsch gelernt, einen Schulabschluss gemacht und die ersten Berufserfahrungen gesammelt. »Das sind zwei tolle junge Frauen, die im Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten Praktikum gemacht haben«, sagt Integrationssenatorin Elke Breitenbach (LINKE). Die eine arbeitete in der Pressestelle mit, die andere half beim Dolmetschen in den inzwischen leergezogenen Turnhallen.

Immer wieder wird in den Medien kritisiert, dass sich die Menschen angeblich nicht integrieren wollen würden und das hiesige System nicht akzeptieren. Bei den beiden jungen Frauen ist das Gegenteil der Fall. »In Afghanistan gibt es keine Ausbildung, man geht zwölf Jahre in die Schule, die Mädchen bleiben zu Hause oder heiraten schnell«, sagt Sahar Abdulqasem. Anders als viele andere junge Geflüchtete schätzt sie das duale Ausbildungssystem hierzulande. Denn während die meisten schnell irgendetwas arbeiten wollen, haben es die Abdulqasems vermocht, einen Ausbildungsplatz zu ergattern. Sahar wird ab September zur Kauffrau für Bürokommunikation beim Deutschen Industrie- und Handelstag ausgebildet.

Sara, die Jüngere, hat ihre Abiturempfehlung nach dem Mittleren Schulabschluss zurückgestellt, um ebenfalls Kauffrau für Bürokommunikation bei einem freien Sozialträger zu lernen. Beide Frauen werden von der Start-Stiftung gefördert, die jungen Migranten zum Beispiel Basisinformationen in Sachen Demokratie vermittelt.

Mit Freiheit und Demokratie hatte das Leben vor der Flucht für die Abdulqasems nichts zu tun, auch wenn das Herkunftsland die verlorene und schmerzlich vermisste Heimat ist. »Wir haben in Afghanistan keine guten Erfahrungen gemacht«, sagt Sahar. Sie berichtet von ihrem Vater, der als Tischler für hochrangige Regierungsmitglieder und sogar den Präsidenten des Landes am Hindukusch tätig war. Als die Taliban davon Wind bekamen, forderten sie vom Familienoberhaupt, bei einem Anschlag gegen den Präsidenten mitzumachen. Den beiden jungen Frauen drohten zudem Zwangsverheiratungen. In die Schule konnten sie nur mit Burka gehen. Die Familie entschloss sich angesichts der Bedrohungen zur Flucht: Sie führte zu Fuß nach Iran, in die Türkei und in dunkler Nacht mit einem Boot nach Griechenland. Von dort flog Sahar mit ihrer schwangeren Mutter 2015 nach Berlin - der Rest der Familie wurde später mit einer sogenannten »Familienzusammenführung« zusammengebracht. Nach Aufenthalten in verschiedenen Flüchtlingsheimen und Unterkünften sind die Familienmitglieder inzwischen als Flüchtlinge anerkannt und leben in einer gemeinsamen Wohnung in Spreenähe in Mitte.

Dass die beiden begabten jungen Frauen eine Karriere im Öffentlichen Dienst der Hauptstadt beginnen, stand im Übrigen nicht zur Debatte. Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) bietet zwar seit einiger Zeit Praktika für junge Menschen an - zwischen zwei und vier Wochen - aber die Ausbildung von jungen Menschen ist nicht vorgesehen. Das verwundert: Schließlich braucht die Behörde, die vor einem Jahr aus dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSO) als eigenständiges Amt herausgelöst wurde, dringend Personal - auch wenn ein Teil der Planstellen wieder gestrichen werden soll, weil nicht mehr so viele Menschen nach Berlin kommen wie noch vor zwei Jahren. »Das LAF ist noch immer eine junge Behörde, irgendwann wird sie vielleicht ausbilden, aber nicht heute und nicht morgen«, sagt Breitenbach dem »nd«.

Das Thema Integration ist unterdessen ein Schwerpunkt von Rot-Rot-Grün. Im Koalitionsvertrag heißt es beispielsweise: »Die Koalition wird die große Integrationsaufgabe unserer Zeit annehmen und ein Maßnahmenpaket zur Verbesserung der Integration nach Berlin Geflüchteter ergreifen.« Zur Erreichung dieses Zieles werden auch Programme wie »Berlin braucht dich!« ausgeweitet, die die berufliche Integration von Menschen mit Migrationserfahrungen und Geflüchteten verbessern soll. Zuletzt hatte 2016 ein Viertel der im Landesdienst eingestellten jungen Menschen solche Erfahrungen vorzuweisen. Das war berlinweit ein neuer Rekord, auch wenn die Tendenz bei einzelnen Landesbetrieben rückläufig ist.

Die Geschichte der Abdulqasems zeigt eindrücklich, wie viel Potenzial in diesen Menschen schlummert, das genutzt werden kann.

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