Erpresserisches aus Ankara

Verbaler Schlagabtausch nach Festnahme zweier weiterer deutscher Staatsbürger in der Türkei

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 2 Min.

Sie reisten in der südosttürkischen Touristenhochburg Antalya ein und wurden noch am Flughafen verhaftet; am Freitag, möglicherweise aber auch schon Tage davor. Das dortige deutsche Generalkonsulat nennt die Namen nicht, bestätigt aber inoffiziell, dass es sich um ein Ehepaar mit türkischen Wurzeln handelt - nicht aber mit doppelter, sondern ausschließlich deutscher Staatsbürgerschaft.

Auch darüber, was den beiden vorgeworfen wird, gibt es nur Mutmaßungen. Sie sollen der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen nahestehen, vielleicht nur in eine seiner Schulen gegangen sein. Aber damit ist man derzeit in der Türkei automatisch mitschuldig am Putsch vom Juli 2016 und wird als Terrorist behandelt. Es ist mithin eine schwerwiegende Provokation von türkischer Seite gegen den NATO-Verbündeten Deutschland. Und sie wurde mit Bedacht herbeigeführt.

Seit über einem Jahr herrscht Ausnahmezustand, der es Präsident Recep Tayyip Erdogan einfach machte, Bestimmungen zu erlassen, mit denen andere Staaten erpresst werden sollen, türkische Exilanten auszuliefern. Auch Berlin wurde bereits in recht rüder Form genötigt, diesem Verlangen nachzukommen. Willkürliche Verhaftungen wie diese und mindestens zehn andere in der Vergangenheit sollen dem wohl Nachdruck verleihen, wie man den Worten des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu entnehmen konnte.

Cavusoglu reagierte auf den äußerst zurückhaltenden Protest der Bundesregierung mit einer Breitseite. Deutschland, zitiert dpa Erdogans Mann fürs Undiplomatische, rege sich auf, wenn die Türkei Putschisten festnehme. »Aber was geht euch das an? Das ist auch ein türkischer Staatsbürger, aber Deutschland fragt, ›warum nehmt ihr meinen Staatsbürger fest?‹«

Bundeskanzlerin Angela Merkel mochte sich am Freitag zu nicht mehr an Protest entscheiden als dem Satz: Angesichts der jüngsten Ereignisse müsse die Bundesregierung ihre Türkei-Politik »vielleicht weiter überdenken«. Selbst aus der eigenen Partei ist man ungleich deutlicher. CSU und LINKE fordern beinahe unisono den Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen und damit auch der Milliardenhilfen für die Türkei. »Jetzt reicht's«, sagte der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer der Presse.

Sahra Wagenknecht, Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Bundestag, sprach sich für einen Stopp der Beitrittsverhandlungen aus. »Jedes Jahr 630 Millionen Euro an einen Erpresser zu bezahlen, ist eine grobe Veruntreuung von Steuergeldern«, sagte sie dem »Hamburger Abendblatt«. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz forderte die Aussetzung der Zahlungen, von einem Ende der Verhandlungen sprach er aber nicht. Grünen-Chef Cem Özdemir sagte, Touristen müssten ihre Reisen kostenfrei stornieren können. »Dafür braucht es die Reisewarnung.« Doch Berlin zögert.

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