Seelenloser Jahrmarkt
Im Kino: »On the Milky Road« von Emir Kusturica
Emir Kusturicas Filme sind wie Glaubensbekenntnisse eines notorisch Ungläubigen: die paradoxe Feier einer an sich unerträglichen Geschichte! Dafür muss man ihn lieben, diesen notorischen Anarchisten, der immer aus dem »Underground« kommt, wie 1995 sein Jugoslawien-Epos hieß. Kusturica, 1954 in Sarajewo geboren, erzählt in wüsten Bildern böse Märchen, er ertränkt den Zuschauer in einer Flut von absurden Sequenzen. So jedenfalls war es 1989 bei »Die Zeit der Zigeuner«, wo Geflügel hypnotisiert und der kriminelle Blick auf den Alltag des Balkans von jemandem eingeübt wurde, der dabei war. Und von Anfang an war es die Musik, die die Bilder erst in einen magischen Taumel versetzte! Sogar als er 1992 mit Johnny Depp den wunderbaren »Arizona Dream« drehte, blies der osteuropäische Wind bis in die Weiten Arizonas. Tagträume eines in dieser Welt Unbehausten, der zudem meint, der Westen wolle die Serben auf vorsätzliche Weise missverstehen.
»Underground« wurde zum Symbol der kommunistischen Ideologie. Aber nicht in entlarvender Absicht. Sein Film über die ewigen Partisanen des Lebens, die in irgendwelchen Bunkern überwintern und auf den ultimativen Entscheidungskampf warten (dabei hat man sie an der Oberfläche längst vergessen), ist von sanfter Ironie. Man hat ihn darum schon zum unverbesserlichen Parteigänger des Titoismus erklärt, zu einem, der der großjugoslawischen Idee hartnäckig anhängt. Aber das verkennt die surreale Form, die Kusturica seinen Balkan-Epen gab. Es sind Verabschiedungsträume falscher alter Ordnungen, die sich gegen die falschen neuen Ordnungen, die man ihnen anträgt, verwahren und lieber das vertraute Chaos feiern. Ja, es ist ein hochgradig anachronistischer Bilder-Sog, der uns etwa in »Schwarze Katze, weißer Kater« (1998) gefangen nimmt. So erschienen mir seine Filme der neunziger Jahre: virtuose Wunderwerke des Absurden.
Kusturica hat sich bewusst für den Osten Europas als künstlerischer Heimat entschieden, obwohl er auch einen französischen Pass besitzt. Nach »Arizona Dream« schlug er alle Angebote Hollywoods aus und sagt dazu heute im Interview: »In den neunziger Jahren hätte ich dort jeden Film machen können. Ich wollte nicht. Ich hasse Hollywood, und zwar aus ideologischen Gründen. Hollywood versteckt sich vor existenziellen politischen und moralischen Problemen der Menschheit. Es ist ein Ort, den wir ebenso bekämpfen müssen, wie wir künstliche Lebensmittel bekämpfen.« Starke Worte, aber folgen ihnen auch starke Filme?
2004 kam »Das Leben ist ein Wunder« in die Kinos. Doch der Zauber der früheren Filme wollte sich nicht mehr einstellen. Was dort ein rasanter Seiltanz über dem Abgrund gewesen war, erwies sich hier als simpler Klamauk. Konnte es sein, dass jemand plötzlich die Gabe verlor, die ihn bislang ausgezeichnet hatte, eben jene Zwischentöne zwischen Welt und Gegenwelt traumsicher zu treffen?
Gespannt und nicht ohne Sorge wartete man also auf den aufwendig beworbenen Versuch eines Comebacks Kusturicas unter dem Titel »On the Milky Road«, eine serbisch-britisch-amerikanische Co-Produktion, die nun als Komödie ins Kino kommt. Wieder werden wir in die Bürgerkriegsszenerie des Balkans zurückversetzt. Kusturica selbst spielt die Hauptrolle, den Milchmann Kosta, der auf seinem Esel traumsicher die Frontlinien durchquert. Begleitet wird er von einem Wanderfalken, durch dessen scharfe Augen wir dann auf die Schützengräben herabblicken. Eine Schlange kommt ins Spiel, die Kostas Milch trinkt und ihn vor dem schlimmsten Übel zu bewahren versucht. Aber vor den Kugeln aller Kriegsparteien schützt ihn allein sein großer löchriger Regenschirm. Ja, es ist eine malerische Szenerie, die sich dem Zuschauer darbietet. Eine riesige alte Turmuhr, die noch aus k.u.k. Zeiten stammt, lässt ihre Zeiger wie verrückt kreisen und »beißt« mit ihren scharfen Zahnädern alle, die sie bändigen (aufziehen oder gar stellen) wollen. Die Vergangenheit ist eben widerspenstig, man kann sie nicht einfach ausstreichen und etwas Neues an ihre Stelle setzen. So jagt hier ein Symbol das andere.
Eine schöne Italienerin (Monica Bellucci) taucht in der Dorfszenerie auf, ein Waffenstillstand scheint allen hier Frieden zu schenken und Kosta verliebt sich sofort in diese geheimnisvolle Frau. Aber dann überschlägt sich die Handlung: Die Italienerin ist die Geliebte eines britisches Generals der Sfor-Truppen, der ihretwegen seine Frau ermordet hatte und im Gefängnis gewesen war. Die schöne Italienerin belastete ihn vor Gericht. Nun ist er raus und auf der Suche nach ihr - tot oder lebendig. Eine erbarmungslose Jagd auf das Liebespaar beginnt.
Das ist nun ein so dürftiger Handlungsmotor, wie ihn selbst Hollywood nicht einmal in eine C-Picture-Produktion einbauen würde! Bloßer seelenloser Kitsch. So bleibt der übertourte Film bald schon wie ein Pannenauto liegen und all die vielen Einfälle, Slapstick- und Trash-Einlagen verpuffen.
Es ist wieder eingetreten: Dieser überspannte Kusturica-Film ist ein einziger Totalschaden. Es ist zum Heulen, aber auch ein wenig zum Lachen. Leider nicht mit, sondern über Kusturica. Warum vermag es da einer, der es eigentlich kann, nicht, eine kleine einfache Geschichte über Menschen zu erzählen, warum dieser bombastisch schrille Jahrmarktzauber?
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