Virtuelle Scheißhausparolen
Tagung des Landespräventionsrates befasste sich mit Strategien gegen Hasskommentare
»Ich bin dafür, dass die Gaskammern wieder öffnen, und die ganze Brut da reinstecken.« Für diesen unzumutbaren Kommentar im Internet gab es eine Geldstrafe von 4800 Euro. Auch andere Hasskommentare sind bereits strafrechtlich verfolgt worden. Trotzdem gibt es täglich unzählige neue Hasskommentare. Sehr viel davon richtet sich gegen Flüchtlinge. Doch es leiden auch viele andere Opfer. Die Grenzen zum Cybermobbing durch persönliche Beleidigungen unter Jugendlichen sind fließend. Als sei dies alles nicht schon schlimm genug, wird es richtig gefährlich, wenn die Hetze irgendwann zu tätlicher Gewalt führt.
Die Hate Speech, die Hassrede in den sozialen Medien sind »keine Laune, keine vorübergehende Mode, sondern ein Phänomen, dass uns noch eine ganze Weile begleiten wird«, vermutet Kay Kasüschke, Präventionsbeauftragter des Landes Brandenburg.
Am Mittwoch veranstaltete der Landespräventionsrat in Potsdam-Herrmannswerder eine Tagung »Hate Speech 2.0«. Freche Kinder und Scheißhausparolen auf öffentlichen Toiletten habe es früher schon gegeben, hieß es dort. Doch die Möglichkeit der Äußerung via Internet scheine die unanständige Freude am Hasskommentar zu beflügeln. Die Tagung rückte Kinder und Jugendliche als Täter, Opfer und schweigende Zuschauer in den Mittelpunkt. Hassreden schwingen allerdings auch Erwachsene, nach dem Eindruck von Professorin Dagmar Hoffmann von der Universität Siegen sind es sogar vornehmlich ältere Generationen, die als besonders schlimme Hetzer auftreten.
Mit Blick auf den laufenden Bundestagswahlkampf bemerkte Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD): »Was es an Hetze, Hassreden, Diskriminierungen tagtäglich gibt, dass hat es in Deutschland noch nicht gegeben. Der Hass ist beinahe grenzenlos.« Die Hassrede sei natürlich nicht neu. Sie scheine in Deutschland erfunden worden zu sein - in der Nazizeit, als Propagandareden aggressiv formuliert und betont worden sind. Doch durch das Internet, so erklärt Schröter, verbreiten sich Hassreden heute in atemberaubenden Tempo, und sie multiplizieren sich.
Aber nur strafbare Inhalte können verfolgt werden, und die seien lediglich die Spitze des Eisbergs, bedauerte der Innenminister. Es bringe nichts, allein die Gesetze zu verschärfen. Das Übel müsse von Eltern, Großeltern und Pädagogen »an der Wurzel gepackt« werden. Man müsse über Werte, Demokratieverständnis und Umgangsformen reden. Kindern frühzeitig zu helfen, Nein zu Hass und Hetze zu sagen, spare später ein teures Sanktionssystem, ist Schröter überzeugt. Als Innenminister sehe er die »Verrohung der Sprache am rechten und linken Rand« sowie den religiösen Fanatismus mit Sorge. Die Hassrede sei ein Krebsgeschwür, das mit dem Skalpell herausgeschnitten werden müsse, bevor es Metastasen bildet.
Vorgestellt wurde Schröter bei der Tagung zutreffend als ein Politiker, der auch mal markige Sprüche klopfe. Ebenfalls zutreffend nahm der Minister jedoch für sich in Anspruch, dass er bei seinen gelegentlich gepfefferten Bemerkungen »immer oberhalb der Gürtellinie« bleibe.
An der Wurzel zu packen wäre das Übel unter anderem durch Medienbildung. Kinder und Jugendliche müssten lernen, nach den Quellen von Nachrichten zu fragen und Falschmeldungen als solche zu erkennen, erklärte Christina Dinar von der Amadeu-Antonio-Stiftung. Zu den Strategien gegen Hassreden gehöre auch die Gegenrede. Im Falle strafrechtlich relevanter Äußerungen rät Dinar, zum Beweis einen Screenshot zu machen und die Hassrede zu melden. Es gibt übrigens eine internet-beschwerdestelle.de der Freiwilligen Selbstkontrolle der Multimedia-Diensteanbieter, auf die Lidia de Reese von der Selbstkontrolle aufmerksam machte.
Daniel Wetzel vom Verein »Neues Potsdamer Toleranzedikt« stellte die Internetkampagne »Stoppt Hasspropaganda« vor, die bereits im November 2014 gestartet wurde. Einer der Hinweise dabei lautete, Inhalte erst auf ihre Richtigkeit zu prüfen, bevor man sie bei Facebook teilt. Es sei die bundesweit erste Kampagne gegen die Verbreitung von Hasspropaganda in den sozialen Netzwerken gewesen, heißt es. Die Kampagne läuft noch weiter.
Das Motto »weggeschaut ist mitgemacht« gilt an der Käthe-Kollwitz-Gesamtschule in Mühlenbeck, wie Schulleiterin Kathrin Haase informierte. Ein Problem sei gewesen, dass es ganz viel Material gebe, doch der Lehrer müsse sich für den Unterricht alles selbst zusammensuchen. Im Rahmenlehrplan sei das Thema nicht enthalten. Schüler John erzählte schmunzelnd, als Strafe für Fehlverhalten seien in seiner Klasse Liegestütze ausgemacht. Es sei die Sportklasse und einige Klassenkameraden seien nun wegen der Liegestütze gut trainiert.
Professorin Dagmar Hoffmann beschrieb, wie sich die Kommunikation verändert hat. Klassisch gab es eine Medienöffentlichkeit. Politiker sendeten ihre Botschaften aus, vermittelt und kommentiert von Journalisten in Presse, Rundfunk und Fernsehen, wobei Leitmedien einen größeren Einfluss ausübten. Unterhalb dieser Ebene gab es noch die Diskussion am Stammtisch. In der Kommunikationstheorie war der Journalist ein Schleusenwärter, der Nachrichten auswählt, dabei Informationen filtert und ihnen je nach ihrer Wichtigkeit mehr oder weniger Platz einräumt. Es gab wenige Sprecher und viele Zuhörer. Heute können via WhatsApp, Youtube, Facebook, Skype oder Twitter »viele vielen etwas erzählen«, wie Hoffmann erläuterte. Der Stammtisch bekomme so eine Arena, werde selbst fast ein Leitmedium.
Täglich oder wenigstens mehrmals in der Woche nutzen 95 Prozent der älteren Kinder und der Jugendlichen WhatsApp. Weit verbreitet ist der Klassenchats, in den für alle Mitschüler sichtbare Nachrichten gesendet werden. Facebook ist nicht mehr so angesagt wie noch vor fünf Jahren. Nur noch 51 Prozent der Kinder und Jugendlichen nutzen Facebook täglich oder fast täglich zur Selbstdarstellung. Diese Zahlen präsentierte Hoffmann.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.