Vergesslicher Geheimdienstler

NSU-Untersuchungsausschuss befasste sich mit Verrat einer Razzia an die rechte Szene

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Er soll als Referatsleiter dafür gesorgt haben, dass der Verfassungsschutz den V-Mann »Backobst« und so die rechte Szene vor Durchsuchungen warnte. Doch vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) erzählt Peter Giebler am Donnerstag harmlos, im Geheimdienst habe man sich damals nicht erklären können, wer so etwas tun würde.

Die LINKE-Abgeordneten brechen spontan in Gelächter aus. »Das waren Sie doch selbst«, ruft der Abgeordnete Volkmar Schöneburg. Mit alten Dokumenten lässt sich der Fall genau rekonstruieren. Am 6. Februar 2001 gab es demnach eine Besprechung im Polizeipräsidium Potsdam, bei der auf die für den 17. Februar geplante Razzia hingewiesen wurde. Giebler saß nach Aktenlage dabei, so heißt es im NSU-Ausschuss. Hinterher soll Giebler umgehend den damaligen Verfassungsschutzchef Heiner Wegesin informiert und dann auf Wegesins Anordnung veranlasst haben, dass der V-Mann »Backobst« gewarnt wurde, obwohl dessen Wohnung gar nicht im Visier der Ermittler war.

Unbekannte hatten im Januar 2001 einen Brandanschlag auf die Trauerhalle des jüdischen Friedhofs in Potsdam verübt. Es fand sich ein Bekennerschreiben der »Nationalen Bewegung«, die für eine Serie von Delikten verantwortlich gemacht wird. Ganz sicher hat die Warnung die Aufklärung behindert, möglicherweise sogar verhindert.

Weil der Untersuchungsausschuss nicht ausschließlich die Verwicklung des Verfassungsschutzes in die NSU-Affäre behandeln soll, sondern zusätzlich ganz allgemein »organisierte rechtsextreme Gewalt und Behördenhandeln«, beschäftigen sich die Abgeordneten schon monatelang mit der »Nationalen Bewegung«.

Peter Giebler ist jetzt 69 Jahre alt und befindet sich im Ruhestand. Er war Geheimdienstler in Niedersachsen, wurde 1992 als Aufbauhelfer zum brandenburgischen Verfassungsschutz versetzt. Dort arbeitete er einige Zeit als Referatsleiter, war zuständig für Rechtsextremismus. Trotzdem erinnert er sich heute nur noch dunkel an das berüchtigte Skinheadnetzwerk »Blood & Honour«, behauptet er. Namen fallen ihm nicht mehr ein.

Auch sonst will Giebler fast nichts mehr wissen. Noch einmal die alten Akten wälzen, konnte er angeblich nicht und hatte auch keine Lust dazu. »Auch wenn Sie mich möglicherweise für dement halten, ich erinnere mich nicht mehr«, hält Giebler den Abgeordneten entgegen, die ihm die riesigen Erinnerungslücken nicht abnehmen und die Vereidigung des zeugen verlangen. Das alles sei in seinem Kopf gelöscht worden, als er 2008 in Pension ging, sagt er. Giebler sitzt da mit Sandalen an den Füßen, trägt einen Stoppelbart und einen Verband an der Hand. Er beschreibt sich als traumatisierte Persönlichkeit, die keine Karriere machen durfte, weil sie nicht der CDU angehörte. Er sei sich als Referatsleiter vorgekommen wie eine Marionette oder wie eine Galionsfigur, während andere die Fäden zogen beziehungsweise den Kurs bestimmten. In all den Jahren beim Geheimdienst hat Giebler vorgeblich als einzigen V-Mann überhaupt ein einziges Mal den V-Mann »Piatto« getroffen.

»Die Aktenlage sieht völlig anders aus«, bemerkt die SPD-Abgeordnete Inka Gossmann-Reetz. Demnach soll es in einer Pizzeria in Werder/Havel ein Treffen mit dem V-Mann »Backobst« gegeben haben. Von einer Oberstaatsanwältin ist Giebler nach der verpatzten Razzia verhört worden, weil ein Verdacht auf Geheimnisverrat bestand. Auch darauf könne er sich nicht besinnen, beteuert er.

Der CDU-Abgeordnete Björn Lakenmacher fragt erstaunt und ein bisschen verschnupft nach: »Kann es sein, dass es beim Verfassungsschutz einen zweiten Herrn Giebler gibt?« Das empfindet der derart Angesprochene als »despektierlich«. Er fühlt sich »angemacht«.

Der frühere Verfassungsschutzchef Wegesin, anschließend als Zeuge vernommen, scheint sich viel besser zu erinnern. Er ist inzwischen 63 Jahre alt und Direktor beim Bundesamt für Verfassungsschutz - und er weiß beispielsweise ein paar Namen aus der Blood & Honour-Szene zu nennen: »Schneider und Kosorten.«

Doch gleich grätscht die Aufpasserin aus dem Innenministerium dazwischen und ermahnt, keine Klarnamen zu nennen. Dass er nicht einmal längst öffentliche Namen bekannter Neonazis in den Mund nehmen dürfe, das bringe ihn um seinen »Nachtschlaf«, witzelt Wegesin verständnislos. Aber resigniert lenkt er ein: »Also gut. Ich werde nur noch den Anfangsbuchstaben verwenden, außer bei meinem eigenen Namen.«

Wegesin verrät, wie der Geheimdienst Spitzel anwirbt. »Mit Geld geht es am besten. Wenn es jemand gibt, der für Judaslohn tätig wird, ist das eine Grundlage, auf der man sich einigen kann.« Bei einer ideologischen Motivlage werde es schwierig. Wie viel Geld wurde den Spitzeln gezahlt? »Die hatten nicht viel, da gab es nicht viel.« Regel sei, dass die Informanten nicht so viel zugesteckt bekommen, dass sie ihren Lebensunterhalt davon bestreiten können. Die Summen wurden übrigens mit zehn Prozent pauschal versteuert, schmunzelt Wegesin.

Er habe sich über jeden Quellentreff schriftlich informieren lassen. Schon allein, weil es an qualifiziertem Personal gemangelt habe, so dass der Verfassungsschutz auf Quereinsteiger, vornehmlich Polizisten, habe zurückgreifen müssen. Er könne sich nicht herausreden, er habe etwas nicht gewusst, bekennt Wegesin. »Ich hätte es wissen müssen.«

Die Ende vergangenen Jahres von Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg geäußerte Vermutung, die »Nationale Bewegung« sei womöglich ein Geschöpf des Verfassungsschutzes, wehrt Wegesin ab. »Einen erheblichen Teil der Tatsachenbehauptungen vermag ich mir nicht zu erklären«, sagt er. Er räumt jedoch ein, der Geheimdienst habe bei der »Nationalen Bewegung« Fehler gemacht. »Das war für uns Lehrstoff, es besser zu machen.« Der Geheimdienst habe damals herumgerätselt, wer hinter der »Nationalen Bewegung« stecken könnte. Ob das eine Person sei oder mehrere, ob diese aus Brandenburg kommen oder aus Berlin. Die Täter konnten bis heute nicht dingsfest gemacht werden. In einer Pause schimpft Wegesin dann über die »Scheiß Durchstecherei der Durchsuchungen«. Hat er denn Peter Giebler tatsächlich nicht selbst angewiesen, den V-Mann »Backobst« zu warnen? »Nein«, kommt es wie aus der Pistole geschossen.

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