So funktioniert die Welt
Einzige Runde der sechs wichtigsten märkischen Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl
Im laufenden Bundestagswahlkampf ist es das erste und einzige Zusammentreffen der brandenburgischen Spitzenkandidaten jener Parteien, die am 24. September ganz sicher oder doch aller Voraussicht nach ins Parlament einziehen werden.
Am Donnerstagabend diskutieren in der brandenburgischen Landeszentrale in den Berliner Ministergärten Michael Stübgen (CDU), Dagmar Ziegler (SPD), Kirsten Tackmann (LINKE), Annalena Baerbock (Grüne), Linda Teuteberg (FDP) und Alexander Gauland (AfD). Der Saal ist gut, aber nicht bis auf den letzten Platz gefüllt. Etwas mehr als 120 Zuhörer sind um 19 Uhr versammelt.
Moderator Henry Lohmar von der »Märkischen Allgemeinen Zeitung« stellt Ziegler als ehemalige Finanzministerin Brandenburgs vor, die 2009 gegen die Bildung der rot-roten Koalition gewesen ist. Stübgen präsentiert er als den erfahrensten Bundestagsabgeordneten in der Runde, denn der CDU-Politiker sitzt bereits seit 1990 im Parlament. Linda Teuteberg macht der Moderator Komplimente, bezeichnet sie als »bekanntestes Gesicht« der märkischen FDP. Teuteberg strahlt und hört gar nicht mehr auf damit. Über Baerbock heißt es, sie habe in ihrer Jugend Trampolinspringen als Leistungssport betrieben. Dann wird Gauland an einen der drei Tische auf dem Podium gebeten. Als Lohmar von »als rassistisch empfundenen Äußerungen« des AfD-Kandidaten spricht, verzieht Gauland spitz das Gesicht. Zuletzt wird Tackmann platziert - allein an einen Tisch mit Gauland. Lohmar erwähnt, die Sozialistin sei von ihren Genossen mit 100 Prozent nominiert worden, was mit Fug und Recht ein »Honecker-Ergebnis« genannt werden dürfe. Der Seitenhieb zeigt Wirkung. Tackmanns Gesichtszüge frieren kurz ein. Bei der launigen Bemerkung schwingt schließlich der Vorwurf mit, in der Linkspartei würden Abstimmungen vielleicht immer noch so laufen wie weiland unter SED-Generalsekretär Erich Honecker. Dabei ist das keineswegs so. 100 Prozent sind heute etwas Besonderes.
Etwas müde zieht sich die politische Plauderei hin. Dann lenkt der Moderator das Gespräch auf Windräder und Braunkohle. Gauland formuliert trotzig die Position der AfD: »Wir halten die Energiewende schlicht für Unfug.« Dafür gibt es um 20.32 Uhr erstmals an diesem Abend Szenenapplaus. Ein Dutzend Männer klatscht. Annalena Baerbock schüttelt den Kopf, verweist auf wegbrechende Gletscher und absterbende Korallenriffe. »So funktioniert nun einmal die Welt«, erinnert sie an Tatsachen des Klimawandels. Doch Gauland kontert trocken: »Nein, so funktioniert nur die Welt der Grünen.« Damit hat er, am Gelächter gemessen, sogar schon mehr als ein Dutzend Zuhörer auf seiner Seite. Fast alle müssen schließlich lachen, als die Kandidaten ihre Meinung zur Schließung des Flughafens Berlin-Tegel bei Inbetriebnahme des neuen Hauptstadtairports BER kundtun sollen. Gauland witzelt: »Die Frage stellt sich nicht, da der BER nie fertig wird.«
Im Saal sitzen Diplomaten und Abgeordnete, vor allem aber Herren aus der Wirtschaft. In diesen Kreisen ist die Energiewende wegen der Stromkosten unpopulär. Folgerichtig erntet Linda Teuteberg etwas Beifall, als sie für einen unvoreingenommenen Umgang mit der in Verruf geratenen Dieseltechnologie wirbt.
Kirsten Tackmann hat es vor diesem Publikum nicht leicht. Sie bekommt aber ihren Szenenapplaus, als sie sagt: »Asyl ist ein Grundrecht. Ich würde selber die Möglichkeit haben wollen, wenn ich mal in die Situation kommen sollte. Es geht überhaupt nicht, Arme gegen ganz Arme auszuspielen.« Diejenigen, die mit Gauland nicht einverstanden sind, zeigen nun durch ihren Beifall, wo sie in dieser Frage stehen. Auch zu Äußerungen von Ziegler und Baerbock wird dann noch ein bisschen geklatscht. Nur Stübgen bleibt noch ohne einen solchen Erfolg. Es ist nun bereits 21.15 Uhr und immer mehr Zuhörer entfernen sich ins Foyer. Das warme Buffet lockt.
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