Unter lebenden Sorben
Martin Leidenfrost über hermetische Weltferne, seine Leibspeise und die Stärke des Glaubens
An einem sonnigen Wochenende wollte ich wissen, ob die kleine westslawische Volksgruppe der Sorben überleben wird. Da sich Sorben und Serben in ihren Sprachen ganz ähnlich benennen - Srbi, Serbja - , hat mindestens eine serbische Facebookgruppe in den Sorben »nordserbische« Brüder erkannt. Autobusladungen slibowitzschwenkender balkanischer »Südsorben« wurden in der Lausitz jedoch noch nicht registriert. Eine Verkäuferin sorbischer Souvenirs sagte mir: »Da sind doch ein paar Jahrhunderte dazwischen.« Auch wenn eine gemeinsame Herkunft möglich ist, sind Serben und Sorben seit 14 Jahrhunderten getrennt.
Da kaum eine europäische Region so säkularisiert ist wie die ehemalige DDR, fiel es mir schwer, die verbreitete These zu glauben, dass das Sorbische ausgerechnet dank der Religion überlebt haben soll: Während die Niedersorben von evangelischen Pastoren germanisiert wurden, hat die katholische Kirche das Obersorbische in einer kleinen konfessionellen Enklave gefördert. Heute sind das fünf kompakt liegende Gemeinden, der »Verwaltungsverband Am Klosterwasser«, in denen die Mehrheit noch Sorbisch kann.
Ich kam schwer an die Sorben ran. Die »Serbske Nowiny«, ihre Tageszeitung für 2000 Abonnenten, sagten mir ab. Eine Unterkunft fand ich nur außerhalb der fünf Gemeinden. Ich näherte mich von Osten, entlang des durchaus vernehmbaren »Froschradweges«. Rapsfelder, dann ganz plötzlich eine Unzahl vergoldeter Christus-Statuen. Ich hatte das obersorbische Eiland erreicht. An der Crostwitzer Kirche eine Danktafel der »katolscy Serbja« an den polnischen Papst. Daneben der Kirchenwirt, mit goldpfeildurchbohrtem heiligen Sebastian davor und blau gewandeter Muttergottes in einer Nische. Es war Freitagabend, Wirtin Dučmanowa hatte aber zu, so wie auch in Nebelschütz, Räckelwitz, Ralbitz-Rosenthal und Panschwitz-Kuckau alles geschlossen war. Ich hörte im Dunkeln, wie in einem sanft beleuchteten Garten auf Sorbisch gesungen wurde.
Am Sonntag hatte die Crostwitzer Kirchenwirtin ein Buffet aufgebaut. Ich fragte: »Kriege ich hier was zu essen?« Die Wirtin sagte: »Nein.« Auch in den anderen Gemeinden nur geschlossene Gesellschaften. An der Wallfahrtskirche in Rosenthal war ein Wettbewerb für »Serbske Songwriting« ausgeschrieben. Bedingungen zur Aufnahme in das neue katholische Jugendliederbuch: »Religiöser Inhalt, jugendliche Prägung, sorbische Sprache«.
Ich nahm in Räckelwitz an der katholischen Messe teil. Sie war gerammelt voll, die Gläubigen hatten ihre sorbischen Gebetsbücher mit und sangen aus vollen Kehlen. Nach der Messe gingen oder fuhren sie umgehend weg. Der Räckelwitzer Wirt war in Insolvenz.
In der Mitte der Klosterwasser-Gemeinden lag das vorwiegend deutschsprachige Kloster Marienstern. Ich aß im »Klosterstübli« das sorbische Nationalgericht, »Rinderbrust in Meerrettichsauce mit Kartoffeln«. Zufällig meine Leibspeise, nur dass sie bei mir in Österreich »Tafelspitz« heißt. In der ehemaligen Klostergärtnerei, die mit Unterstützung des Freistaates Sachsen in ein »Ernährungs- und Kräuterzentrum« verwandelt worden war, wurde sorbische Folklore dargeboten. Blasmusik, Trachtenchor. Als jemand, der zwölf Jahre in der Slowakei gelebt hatte, erkannte ich Weisen mit mährischem und slowakischem Bezug. Viele Zuhörer fanden unter einer ausladenden Linde Platz. Ausgeschenkt wurde Kaffee, einige wenige holen sich im Shop einige wenige Biere.
Mein Wochenende in der Lausitz stimmte mich recht melancholisch. Wurde das Sorbische allein von der hermetischen Weltferne der fünf Gemeinden gerettet? Die Äbtissin von Marienstern hatte den Orden nach »Glaubenszweifeln« verlassen, und in Diskotheken der offiziellen obersorbischen Hauptstadt Bautzen drohten Sorbisch Sprechende von Neonazis vermöbelt zu werden. Gewiss, da war der prachtvolle Brauch des Osterreitens. Da waren die einfachen Arbeitstrachten alter Sorbinnen im Bildband »Bevor du gehst«.
Ich fragte mich jedoch: Wenn der letzte sorbischsprachige Pfarrer stirbt, ist dann nicht auch das Sorbische tot? Die Antwort, die ich aus einer obersorbischen Pfarrei bekam, stimmte mich froh: »Ja, es gibt sorbischsprachigen Priesternachwuchs.« In wenigen Jahren sollten drei junge sorbische Priester einsetzbar sein. Und: »Dass wir als Sorben immer noch da sind, zeigt doch wohl, dass es nicht auf die Masse ankommt, sondern auf die Stärke des Glaubens.«
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