Katalanen zeigen keine Angst
Hunderttausende sprechen sich auf den Straßen für die Unabhängigkeit aus
Feierstimmung ließ man sich am katalanischen Nationalfeiertag (Diada) am 11. September nicht verbieten, doch wurde angesichts der Repression aus Madrid erneut auch dieser Slogan gerufen: »No tinc por« (Ich habe keine Angst). Unter dem Motto gingen im August in Barcelona etwa eine halbe Million nach den islamistischen Anschlägen auf die Straße, um den Terroristen die Stirn zu bieten. Man kann darüber streiten, ob der Slogan auch jetzt angemessen ist, aber er könnte für Spanien ein Anlass zum Nachdenken darüber sein, unter welcher Bedrohung sich viele Katalanen sehen. Schließlich hat der rechte spanische Regierungschef Mariano Rajoy angekündigt, das Referendum »mit allen Mitteln« zu verhindern und seine Verteidigungsministerin Maria Dolores de Cospedal hat schon mit dem Militär gedroht. Die paramilitärische Guardia Civil hat bereits eine Zeitung und eine Druckerei nach Wahlzetteln und Wahlurnen durchsucht.
Die spanische Regierung zieht weiter alle juristischen Mittel. Am Dienstag setzte das Verfassungsgericht das erst vorige Woche vom Regionalparlament in Barcelona verabschiedete »Abspaltungsgesetz« vorläufig außer Kraft, das im Falle eines Ja beim Referendum am 1. Oktober die Loslösung regeln soll. Verfahren gegen Regierungs- und Parlamentsmitglieder wurden nun offiziell auf Basis der Anschuldigungen durch das Ministerium für Staatsanwaltschaft eröffnet. »Es sind Anklagen dafür, Debatten im Parlament zugelassen zu haben«, erklärte die Parlamentspräsidentin Carme Forcadell am Dienstag.
Vor die Staatsanwaltschaft wurde am gleichen Tag auch der Chef der Regionalpolizei geladen, der sich nach den Anschlägen in Barcelona und Cambrils durch effektives Vorgehen einen Namen gemacht hat. Josep Lluís Trapero wurde verkündet, seine Polizei müsse das Referendum verhindern. Der katalanische Regierungschef will aber nicht, dass seine Polizei, »die von der Bevölkerung geliebt wird«, gegen diese eingesetzt wird. Man solle sie »in Frieden lassen« sagte Carles Puigdemont. »Wenn sie wählen muss, zwischen Urnen entfernen und Menschen schützen, hat sie Prioritäten.«
Wurde behauptet, die Bürgermeisterin von Barcelona werde Barcelona nicht am Referendum teilnehmen lassen, stellte Ada Colau am Nationalfeiertag die Lage klar: »Wir werden alles tun, damit die Bevölkerung am 1. Oktober abstimmen kann.« Die frühere Sprecherin der »Plattform der Hypothekbetroffenen« hatte von Puigdemont »Garantien« gefordert, damit ihre Beschäftigten und ihre Institution nicht kriminalisiert werden. Colau bestätigte Gespräche und eine Lösung zeichnet sich ab. Freiwillige, die sich zu Tausenden zur Durchführung des Referendums einschreiben, ersetzen die Angestellten am Wahltag in der Logistik.
Angekündigt wurde auch, dass die Abstimmung in den Gemeinden stattfinden werde, in denen sich die Bürgermeister verweigern, allerdings bleibt bisher offen, wie das garantiert wird. Knapp 200 von 950 haben sich entweder noch nicht festgelegt oder weigern sich. Fast 50 Bürgermeister, die zur katalanischen Sektion der spanischen Sozialisten (PSOE) gehören, haben einen schweren Stand. Sie wollen entgegen der Parteilinie das Referendum durchführen. Ihr Parteichef Pedro Sánchez droht ihnen parteiintern mit Sanktionen. Er stellt sich hinter Rajoy und das belastet die Beziehungen zur Linkspartei Podemos (Wir können es). Podemoschef Pablo Iglesias brachte am Montag auch Sánchez auf die Palme. Bei seinem Auftritt mit Colau, rief er, obwohl er ein »stolzer Spanier« sei, der Menge zu: »Visca Catalunya lliure i sobirana!« (Es lebe ein freies und souveränes Katalonien). Rajoys Volkspartei sei für die Lage verantwortlich und es sei eine »historische Herausforderung«, sie aus der Regierung zu vertreiben. Sein Problem ist nur, dass er dafür nicht nur ein Bündnis mit den katalanischen und baskischen Parteien braucht, sondern auch mit der PSOE. Nur so ließe sich eine Lösung für den Konflikt mit Katalonien finden. In Sicht ist sie nicht.
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