Bauten sind für Menschen da

Eine Kabinett-Ausstellung thematisiert das Wirken des Architekten Gerd Pieper

  • Matthias Thalheim
  • Lesedauer: 5 Min.

Als »Großküchen-Pieper« erlangte der Jungarchitekt frühe Meriten und wurde bald ein Spezialist für Gastronomiebauten in der DDR. Der Sechsecktisch für die Bankettbestuhlung im »Palast der Republik« ist seine Idee. Als Gerd Pieper, Jahrgang 1942, sich zu sehr auf Kantinen, Kneipen und Nobelrestaurants festgelegt fühlte, entwarf er einen Forschungsturm für die Bauakademie: 65 Meter hoch. Auch die rettende Mauer für den Jüdischen Friedhof in Weißensee geht auf ihn zurück.

Dem ostsozialisierten Menschen wird die Fähigkeit zugesprochen, zwischen den Zeilen lesen zu können. Wie aber kann man das in der Architektur der DDR? »Innenräume und Architekturen« titelt Gerd Pieper die kleine Ausstellung, die ihm die »Galerie F92« im Nachbarschaftshaus in der Fehrbelliner Straße 92 jetzt einräumt. In diesem Haus, das bis 1942 ein jüdisches Kinderheim war, hat Pieper als kleiner Junge aus der Schwedter Straße wöchentlich einen obligatorischen Löffel Lebertran schlucken müssen, der ihm nicht schmeckte. Aber das sollte für ihn nur der Anfang von schwer zu schluckenden Sachen sein, denn viele seiner Bauten und Raumgestaltungen sind heute nur noch auf Entwurfsskizzen, Grundrissen und Fotos nacherlebbar. Piepers Forschungsturm von Hohenschönhausen steht nicht mehr. Auch der Spielcasino-Neubau in der Leipziger Straße wurde 1996 abgerissen. Die Gaststätten »Moccabar«, »Kaffeehaus«, »Pizzastube«, »Palatschinkenbar« und »Suppenterrine«, die er Anfang der 80er Jahre am Alexanderplatz mit ganz eigenen Raumgestaltungen in das ehedem von Peter Behrens entworfene Jonashaus integrierte, mussten längst Ladenflächen weichen.

Die Ausstellung dokumentiert das Anliegen von Piepers Entwürfen, seine Rezeptur kollektiver Arbeit, und lässt die vielfältigsten Erinnerungen aufleuchten: Ach ja, das war doch die markante Tresenkachelung mit der kobaltblauen Fliesenmalerei. Und die großformatigen Marmorpapiere an den Wänden stammen doch tatsächlich von dem Buchgestalter Lothar Reher, die Kugelleuchten aus der Werkstatt des legendären Volker »Lampen-Nickel«.

Wer den hochgewachsenen Gerd Pieper, eine Boxernatur mit Bassstimme und erlesener Garderobe, durch Ostberliner Nächte flanieren sieht, könnte meinen, dass er schon im Trenchcoat auf die Welt gekommen sein muss. Das kann doch keiner sein, der in der Schwedter Straße in einer Eineinhalb-Zimmer-Wohnung aufgewachsen ist. Aber es ist die Wahrheit: Seine Mutter war Näherin. Der Vater blieb im Krieg.

Gerade mal vierzig Jahre alt, übernahm Pieper die Entwurfsleitung für ein zentrales Versorgungszentrum der neuen samt alten Charité - für 2000 Patienten und 3000 Mitarbeiter. Dimensionen, die nicht nur jeden Hobbykoch erschauern lassen, sondern auch Gastronomiefachleuten die Ohren summen lassen. Auch die 900 Plätze im von Pieper entworfenen Terrassencafé im Berliner Tierpark sind nicht von Pappe. In den 80er Jahren wurde er mit der Neugestaltung von Tanzcafé und vier Salons im Restaurant »Moskau« beauftragt. Der 1964 in der Karl-Marx-Allee eröffnete Kubus war in reiner Lehre des Modernismus von Josef Kaiser entworfen worden und bot über 600 Gaststättenplätze in weitläufigen Sälen. Für die Kellner ein Dauermarathon. Für die Gäste wenig anheimelnd. Und nun sollte Pieper für etwas mehr Behaglichkeit sorgen, ständig den über alles bestimmenden sowjetischen Statthalter Pjotr Abrassimow im Nacken.

Im August 1989 schließlich, als kaum jemand einen Sinn dafür hatte, wurde das erste Peking-Restaurant der DDR in der Leipziger/Ecke Friedrichstraße eröffnet. Piepers Meisterstück, für das ihm noch nicht mal eine Studienreise in die Volksrepublik China gewährt wurde. Er durfte stattdessen nach Ulan-Bator. Asien ist Asien.

Das Ende des Bau- und Montagekombinats Ingenieurhochbau Berlin, das ihn beschäftigte, trifft Gerd Pieper mit 47 Jahren. 2003 löst er seine Lebensversicherung auf und eröffnet in der Sredzkistraße 44 ein eigenes Lokal mit chinaroten Säulen im Entrée. Für die Nachtschwärmer vom Prenzlauer Berg, die nach der Schießung der Puppenspielerkneipe »Lampion« heimatlos umherirren, ist das »Pieper« die Rettung. Pieper selbst muss bald erkennen, dass sich der Genuss eines vor dem Tresen stehenden Menschen komplett reziprok zur Lebensfreude des hinter dem Tresen waltenden Wirts verhält.

Bleiben wird seine Neueinfriedung des Jüdischen Friedhofs in Weißensee, dessen Außenmauern Ende der 70er Jahre derart verrottet waren, dass es für Barbaren ein leichtes war, einzudringen, Gruften zu plündern, Gräber zu schänden. Vom angrenzenden VEB Getränkekombinat kippten Bierkästen auf das Areal der Ruhestätten weltbekannter Juden. Viel zu lange hatte der Ostberliner Magistrat den Frevel geschehen lassen, wollte man doch eigentlich eine vierspurige Ausfallstraße durch das Gelände bauen. Dann wurden die Proteste in In- und Ausland zu laut, und Honecker wollte wegen seiner Reiseabsichten in die USA Schönwetterstimmung mit den jüdischen Familien in Übersee stiften. Abhilfe musste her. Mit begrenztem Baukontingent und dennoch mit Würde sollte auf einer Länge von 750 Metern eine Lösung gefunden werden.

Vor allem Gerd Piepers guten Kontakten zu Spezialgewerken war es zu danken, dass die gemeinsam mit Christa Frenzel entwickelte Gestaltungsidee mit dem Motiv einer Menora überhaupt als Fertigteilplatte in Beton gegossen werden konnte. Stuckateure setzten den Entwurf mit dem stilisierten Sieben-Kerzen-Leuchter 1:1 als Gipsmodell um, aus dem Spezialisten in Schwarzheide eine Kunststoffform für das Plattenwerk fertigten. Als die Elemente dann gegossen wurden, waren die Fachleute im Urlaub. Es wurde mit Hilfskräften aus dem Studentensommer gearbeitet. Die unsachgemäß gefertigten Platten zeitigten baldige Korrosionsschäden. In diesem Frühjahr endlich sind die Betonschäden aufgearbeitet worden.

Die Ausstellung ist kein Wandelgang für Ostalgiker. Originalton Pieper: »Es war immer ein Affentanz!« Er ist kein Erbsenzähler und kein Perfektionsidiot. Das Credo seines großzügigen Wirkens ist wohl am besten so zu beschrieben: Er versteht sich aufs Entwerfen und Bauen, vielmehr jedoch versteht er sich auf Leute.

»Innenräume und Architekturen«, vom 15. September bis zum 11. November in der Galerie F 92, Fehrbelliner Str. 92, Mitte

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