Ein Lächeln am Morgen
Mit Freundlichkeit hat LINKE-Bundestagskandidat Petzold zumindest am Infostand Erfolg
Normalerweise pendeln Einwohner aus den Städten und Gemeinden im Umland Berlins zur Arbeit in die Metropole. In der Nähe des S-Bahnhofs Mühlenbeck-Mönchmühle befindet sich allerdings ein großes Berufsbildungszentrum, so dass die Züge hier auch in der Gegenrichtung gut gefüllt sind.
Am Dienstagmorgen gegen 7.45 Uhr ist der Bahnsteig schwarz vor Fahrgästen. Der Bundestagsabgeordnete Harald Petzold (LINKE) hat sich mit zwei Genossen am Zugang postiert. »Guten Morgen, darf ich Ihnen eine kleine Wahlempfehlung mitgeben?«, fragt er immer wieder. Viele sind noch müde. Die Mienen sind fast ausdruckslos, bis Petzold die Menschen freundlich anlächelt. Dann lächeln die meisten zurück. Mehrere Frauen strahlen sogar regelrecht und wünschen dem Kandidaten für die Wahl am 24. September viel Glück. Petzolds Erfolgsgeheimnis: »Ich bin nett.«
»Ach, Herr Rauhut«, sagt ein Mann mit Blick auf das Parteilogo. Er denkt, er habe den Direktkandidaten in Berlin-Reinickendorf vor sich. »Nein, Herr Petzold. Inzwischen haben Sie die Landesgrenze überschritten«, klärt der Angesprochene auf.
55 Jahre ist Petzold alt. Doch mit roten Stoffturnschuhen und Jeans wirkt er jünger. Als in aller Herrgottsfrühe der Wecker klingelte, wäre er am liebsten liegen geblieben. Seit Mitte August sei er immer früh raus und vielleicht nur zwei oder drei Tage im Hellen heimgekommen, erzählt er. Doch jetzt wirkt er frisch. Seit 7 Uhr steht er mit Ortsparteichef Günter Pioch und ver.di-Funktionär Marco Pavlik am S-Bahnhof und verteilt Tüten mit Kugelschreibern und Faltblättern.
Nur 100 Tüten hatte Pioch mitgebracht. Doch die würden nicht reichen, prophezeite Petzold und schickte den 77-Jährigen, noch weitere 100 Stück zu holen. Um 8.23 Uhr gehen die Tüten aus. Gefühlt 60 Prozent der Leute haben zugegriffen. Das ist eine ausgezeichnete Quote, gehen doch im Allgemeinen zahlreiche Bundesbürger achtlos an den Infoständen der Parteien vorüber. Oft treten nur die mit einer Frage heran, die der Linkspartei sowieso schon zuneigen.
Ginge es nach den verteilten Tüten, müsste Petzold den Wahlkreis 58 gewinnen, der aus dem Landkreis Oberhavel und einem Stück vom Havelland besteht. Doch nach den Tüten geht es nicht.
Haushoher Favorit ist der Bundestagsabgeordnete Uwe Feiler (CDU), der den damals noch ein bisschen anders geschnittenen Wahlkreis 2013 mit 37,5 Prozent geholt hatte. Feiler distanzierte Angelika KrügerLeißner (SPD) mit ihren 28 Prozent klar und und Harald Petzold mit seinen 19,6 Prozent sowieso.
Als Petzold bei der Nominierung der Landesliste vom aussichtsreichen Platz vier auf den beinahe aussichtslosen Listenplatz sechs verdrängt wurde, da war ihm klar, dass ein Sieg im Wahlkreis als Alternative zum Wiedereinzug ins Parlament fast unmöglich ist. »Ich werde trotzdem alles versuchen«, versprach er damals.
Jetzt kämpft er zuvörderst um Zweitstimmen für seine Partei. Denn eine gewisse Möglichkeit besteht noch: 22,4 Prozent erhielt die LINKE bei der Bundestagswahl 2013 in Brandenburg, und dies reichte für fünf Abgeordnete. Wenn die CDU diesmal bundesweit fast alle Direktmandate holt - und danach sieht es aus - dann könnte die Zumessung der Ausgleichsmandate dazu führen, dass bei der märkischen Linkspartei auch noch Listenplatz sechs »zieht«, wie die Experten sagen. Wenigstens 20 Prozent müsste der Landesverband aber wohl einfahren. Ob das klappt, ist fraglich. Doch Petzold entdeckt am Dienstagmorgen einen Anlass für Optimismus. Kurz bevor er die letzte der 200 Tüten aus der Hand gibt, findet er eine Münze. »Ich habe jetzt einen Glückscent. Das heißt, ich komme auf jeden Fall in den Bundestag«, schmunzelt er, »egal wie«, ob über die Liste oder als Wahlkreissieger.
Über seinen Plan B will der Bundestagsabgeordnete nichts sagen. »Darüber denke ich am 25. September nach«, meint er. Eins ist aber klar: Als Lehrer für Musik, Deutsch und Politische Bildung könnte der 55-Jährige jederzeit in den Schuldienst zurückkehren, selbst wenn er als Pädagoge nur von 1999 bis 2005 gearbeitet hat und sich damals aus politischer Überzeugung nicht verbeamten ließ. Denn das Rückkehrrecht für Politiker in den öffentlichen Dienst gilt auch für Angestellte, und Lehrer werden dringend gebraucht.
Zunächst einmal muss Petzold jetzt als Politiker in eine Schule, ins private Neue Gymnasium in Glienicke/Nordbahn. Dort gibt es einen Projekttag zur Bundestagswahl. Bevor er sich ins Auto setzt, bittet er seine Helfer Pioch und Pavlik, dass die LINKE nun bis Sonntag in Mühlenbeck-Mönchmühle täglich präsent ist. »Ihr müsst nicht unbedingt immer was verteilen, aber sichtbar sein«, rät er. Die Fahrt nach Glienicke/Nordbahn dauert nicht so lange wie gedacht. Es bleibt Zeit für ein zweites Frühstück, Rührei mit Speck. Im Café sitzt mit Uwe Feiler schon der Mitbewerber von der CDU. Die Abgeordneten begrüßen sich mit Handschlag. Später im Gymnasium bekommen die hiesigen Direktkandidaten von CDU, SPD, LINKE, FDP, Grüne und AfD je ein Klassenzimmer zugewiesen. Zuerst schauen die Zehnt-, Elft- und Zwölftklässler bei den improvisierten Sprechstunden herein. Die Ältesten unter Ihnen dürfen vielleicht schon wählen, aber das sind Ausnahmen. Hier geht es eher darum, einen guten Eindruck zu hinterlassen, damit die Jugendlichen beim Abendbrot ein gutes Wort über den Kandidaten verlieren und damit die Wahlentscheidung der Eltern beeinflussen.
Petzold kann von einem der für Oppositionspolitiker seltenen Erfolge schwärmen. Als Experte für die Belange der Lesben und Schwulen darf er sich über die durchgesetzte Ehe für alle freuen. Ein Mädchen erkundigt sich nach dem Tierschutz. In Schulen komme diese Frage immer, berichtet Petzold. Er unterstützt einen Tierschutzverein finanziell und ist gegen Massentierhaltung, mahnt aber, wer seiner Ernährung nicht umstelle und extrem billiges Fleisch kaufe, der dürfe sich über schlechte Lebensbedingungen der Nutztiere in bestimmten Ställen nicht wundern. Mit seiner Forderung nach schnelleren Internetverbindungen kommt Petzold bei den Jungs gut an.
Dem SPD-Konkurrenten Benjamin Grimm im Klassenzimmer nebenan bescherten die Jusos ein witziges Wahlplakat. Als Ritter verkleidet sitzt er auf einem Einhorn. »Geiler als Feiler« und »Wählt Grimm« steht über der Fotomontage. Das soll bestimmt eine Anspielung auf die US-Fantasyserie »Grimm« sein. Doch so genau vermag der 1984 Geborene das nicht zu sagen. Er weiß nur: »Einhörner sind im Moment total angesagt.«
Harald Petzold muss lächeln, wenn er dieses Plakatmotiv sieht. Aber seine Devise im Straßenwahlkampf lautet ohnehin: »Immer lächeln.«
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