Ruhestandsprivilegien sind illegitim

Matthias Höhn verteidigt das Vorhaben einer Rentenkasse für alle. Dies sei kein Populismus, sondern notwendig

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Opportunistisch, verantwortungslos, ja populistisch sei es zu fordern, dass die Kanzlerin, ihre Minister und Bundestagsabgeordnete in die gesetzliche Rente einzahlen. Dies füttere »Elitenhass«, warnte Florian Haenes in der nd-Ausgabe von Dienstag. Doch er irrt. Mein Vorschlag, der zwar in der Tat nicht neu ist, ist dennoch progressiv und gerecht.

In dieser Zeitung war zu lesen, dass an der Praxis, Politiker nicht in die gesetzliche Rente einzubeziehen und gesonderte Altersbezüge zu zahlen, nichts Skandalöses sei. Ein Bundestagsabgeordneter hat bereits nach acht Jahren - ohne eigene Einzahlungen - ein Ruhegeld von über 2000 Euro sicher, ein Arbeitnehmer, der 45 Jahre mit einem Bruttolohn von 2000 Euro in die gesetzliche Rente einzahlt, landet im Alter nur etwas über der Grundsicherung. Ein Staatssekretär hat nach vier Jahren einen Anspruch von über 3000 Euro, nach zehn Jahren kommt er auf etwa 8000 Euro. Bei Ministern sind die Bezüge noch höher. Frau Vogel, die Gebäudereinigerin, die Frau Merkel im ZDF sehr mutig mit ihrer Biografie konfrontierte, hat 40 Jahre geputzt, eingezahlt und erhält eine Armutsrente von 656 Euro. All das ist skandalös.

Matthias Höhn

Matthias Höhn ist Mitglied des Landtages von Sachsen-Anhalt und seit Juni 2012 Bundesgeschäftsführer der LINKEN. Foto: dpa/Peter Endig

Wir wollen, dass alle Menschen mit ihren Erwerbseinkommen in einen gemeinsamen Rententopf einzahlen. Ich habe vorgeschlagen, dass Politiker mit einer Versicherungspflicht auf dem Weg zu einer gerechteren Finanzierung der Rente vorangehen. Es wäre ein glaubwürdiges Signal für die Stärkung des sozialen Zusammenhalts. Natürlich sollen Politiker auch im Ruhestand - wie alle Bürger - finanziell gut abgesichert sein. Aber warum soll das nicht über die gesetzliche Rente gehen? Die derzeitigen Ruhestandsprivilegien sind nicht legitim. Vor allem nicht, wenn sich gleichzeitig die gesetzliche Rente im Sinkflug befindet.

Eine Rente, in die auch Politiker einzahlen, wäre die beste Versicherung gegen weitere Rentenkürzungen und Verlängerungen der Lebensarbeitszeit. Darüber hinaus würde es dazu führen, dass der Druck für eine grundlegende Rentenreform zunimmt. Denn selbst bei konservativen und marktliberalen Politikern würde das Interesse wachsen, dass alle bis hinauf zur Wirtschaftselite, zu den Winterkorns, Müllers und Zetsches, Beiträge in die gesetzliche Rente von ihren Millionärseinkommen zahlen müssen. Natürlich funktioniert das nur, wenn diese Herren dann nicht Millionärsrenten erhalten, sondern ihre Ansprüche solidarisch abgeflacht werden.

Unser Konzept heißt Erwerbstätigenversicherung: Schauen wir nach Österreich, dort funktioniert seit Jahren ein ähnliches System. Da alle in einen gemeinsamen Rententopf einzahlen, ist Österreich in der Lage, deutlich höhere Renten auszuzahlen. Bei ähnlicher demografischer Entwicklung liegt das Rentenniveau bei 80 Prozent, in Deutschland bei 48 Prozent und es sinkt weiter. Der Durchschnittsrentner erhält in Österreich 800 Euro mehr. Die Rente wurde nicht teilprivatisiert wie hierzulande mit Riester. Arbeitgeber zahlen sogar einen etwas höheren Beitrag als Arbeitnehmer. Wenn wir uns nicht mit millionenfacher Altersarmut und sozialem Abstieg für die allermeisten abfinden wollen, brauchen wir hierzulande eine Rentenkasse für alle. Was in Nachbarländern möglich ist, muss auch hierzulande möglich sein.

Es gibt keinen »angeblichen«, sondern einen sehr manifesten »Unmut über die da oben«: ein tiefsitzendes Misstrauen zwischen einem Teil der Bevölkerung und etablierter Politik. Es wäre absurd, etablierte Politik nicht mehr zu kritisieren, weil es Misstrauen gibt. Andersherum wird ein Schuh draus, wir müssen die Ursachen für Politikverachtung politisch bearbeiten. Für Hassparolen, Rassismus und Gewalt gibt es keine Rechtfertigung. Aber der Vertrauensverlust der Menschen ist erklärbar und oft allzu verständlich. 40 Prozent der Bevölkerung haben heute real weniger im Portemonnaie als Ende der 90er Jahre. Woher soll da Vertrauen gegenüber der Politik entstehen? Fast jeder Zweite wurde vom Wachstum und Wohlstand der letzten Jahre abgekoppelt. Das ist die Hauptursache für Wut, Frust und Hoffnungslosigkeit. Dies anzusprechen, ist originäre Aufgabe linker Politik. Wenn die LINKE nicht mehr das politische Establishment für fragwürdige Privilegien und abgehobene, oft käufliche Politik kritisieren darf, weil das zuweilen auch die AfD macht, würden davon ausschließlich die Rechten profitieren.

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