Neuer Saal, alte braune Schatten
Niedersachsen: Wird die Büste des Hinrich Wilhelm Kopf im neuen Landtagsbau platziert?
Gut geschützt vor Baustaub warten Friedrich Ebert, erster Reichspräsident der Weimarer Republik sowie Westdeutschlands erster Bundespräsident Theodor Heuss auf ihren Wiedereinzug in Niedersachsens Landtag. Irgendwo in dessen Räumlichkeiten harren die Büsten jener Politiker dem 27. Oktober entgegen: Dann werden sie nahe dem neuen Plenarsaal wieder aufgestellt, der an diesem Tag eröffnet wird. Die dazu eingeladenen Gäste, darunter Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, werden aber wohl nicht nur Ebert und Heuss erblicken, sondern womöglich auch die Bronze des umstrittenen SPD-Politikers Hinrich Wilhelm Kopf. Der 1961 verstorbene Kopf wurde 1946 erster Ministerpräsident des neuen Bundeslandes Niedersachsen.
Landtagspräsident Bernd Busemann (CDU) bekundete jetzt bei einem Baustellenrundgang vor Journalisten, er habe nichts dagegen, dass Kopfs Büste wieder ihren Platz im Plenargebäude bekommt. In einem Haus, das seit April 2015 aus gutem Grund nicht mehr die Adresse Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz, sondern Hannah-Arendt-Platz trägt. Anlass für die Umbenennung war die Erkenntnis, Kopf habe sich während des NS-Regimes an jüdischem Vermögen aus Polen bereichert. Und er habe sich auch damit gebrüstet, Grabsteine eines jüdischen Friedhofs gewinnbringend verkauft zu haben - zum Zermahlen für den Straßenbau.
Ob an einen solch ein Mann wieder im Parlament erinnert werden soll, muss vielleicht noch der Ältestenrat des neuen Landtags erörtern. Das Parlament selbst konstituiert sich voraussichtlich im November und wird dann erstmals in den neuen Sitzungssaal einziehen. Dieser ist sehr hell - dank der großen, nun zur Straße hin offenen Fenster. Früher ließen die Saalfenster das Tageslicht nur bis in einen Umgang scheinen, von dem mehrere Türen in den abgekapselt wirkenden, nicht selten miefigen Plenarsaal führten.
Nun kann jede und jeder »von draußen« auf den Arbeitsplatz der Politiker schauen. Andererseits werden die Abgeordneten und die Minister auf der Regierungsbank mögliche Demonstrationen vor dem Gebäude sehen können. Denn die Bannmeile, mit der jahrzehntelang Proteste und andere Kundgebungen vor dem Hohen Haus verboten waren, hatte der Landtag im April abgeschafft.
Doch nicht allein via Fensterblick lässt sich das Parlament beobachten. Von den Besuchertribünen aus - sie bieten 260 Plätze - können Interessierte das Tun der Abgeordneten gut verfolgen. Noch sind deren Stühle nicht fertig installiert, noch wird in dem 1962 eröffneten »Klotz«, wie viele den denkmalgeschützten Plenarkubus nennen, fleißig gewerkelt. Zwar sollten die Arbeiten bereits abgeschlossen sein, doch unerwartete Schäden an der Fassade sowie Ärger mit Firmen verzögerten das Ganze. Dennoch bleibe das Großprojekt im genehmigten Kostenrahmen von gut 58 Millionen Euro, meint Finanzminister Peter Jürgen Schneider (SPD). Sicherheit werde es aber erst nach Vorlage aller Rechnungen geben.
Ausgaben verursachte die Neugestaltung im Parlamentskubus auch ganz in der Nähe, gegenüber Hannovers Marktkirche. Dort wurde für die Bauzeit ein Übergangsplenarsaal geschaffen. Er entstand in einem Geschäftshaus, dessen Umbau rund 3,5 Millionen Euro verschlang. Der Saal werde nun aber nicht ungenutzt bleiben, versicherte Präsident Busemann. Man könne ihn vielfältig verwenden, ihn auch mal der Landessynode, dem Parlament der evangelischen Kirche, für Sitzungen anbieten.
Kirchenvertretern, so der Präsident, werde er dieser Tage im neuen Plenarbereich einen »Raum der Stille« zeigen. Abgeordnete, die sich zu einer Andacht treffen wollen, können ihn nutzen, zum Beispiel ein landtagsinterner Gebetskreis werde das tun. Und, so witzelte Busemann, man könnte ja Parlamentarier, die sich wegen böser Worte einen Ordnungsruf verdient hätten, stattdessen zur Besinnung in jenes Refugium schicken.
In der auslaufenden Legislaturperiode wäre das nicht oft geschehen, denn: Beim Durchstöbern der Parlamentsprotokolle von 2013 bis 2017 sind nur 35 regelrechte Ordnungsrufe zu finden. Die meisten, 16 an der Zahl, wurden CDU-Abgeordneten zuteil, sieben kassierten die Grünen, jeweils sechs SPD und FDP.
Durch Originalität stach keine der gerügten Anmerkungen hervor. Phantasievolle Wortschöpfungen wie etwa »Düffeldoffel« - so nannte SPD-Urgestein Herbert Wehner seinen Kontrahenten Helmut Kohl im Bundestag - gab es nicht. Mit Ordnungsrufen geahndet wurden Wörter wie »scheißegal«, Beschimpfungen wie »Dreckspatz« oder »Lümmel« und auch die Titulierung des grünen Agrarministers als »Ziegen-Meyer«.
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