Ripleys Pioniertat

An der Entwicklung der Rollenbilder im Horrorfilm zeigt sich der Fortschritt der Emanzipation

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Hatte man das Pech, eine junge bis mittelalte Frau zu sein, hatte man’s früher als Figur in Horrorfilmen und im Thrillergenre nicht leicht: Man musste, bis weit in die 1990er Jahre hinein, vor allem hysterisch schreiend weglaufen können. Und, wie in den meisten anderen Filmen auch, dekorativ herumstehen und mit hilflosem Hundeblick ehrfurchtsvoll zur männlichen Hauptfigur aufschauen. Gut machte es sich auch, wenn die Protagonistin während des Fortgangs der Handlung nach und nach immer weniger anhatte. Ihr Treiben erschöpfte sich also meist in der panischen Flucht vor dem Irren mit dem Schlachtermesser in der Hand (als sogenanntes Final Girl) oder im Darstellen der sonstwie verfolgten Unschuld mit guten Stimmbändern (als sogenannte Scream Queen). Als wünschenswert galt, dass am Ende die geschundenen und verängstigten Rehlein in den Armen ihrer männlichen Retter lagen, am besten in wirkungsvoll verrutschender sexy Unterwäsche.

Frauenfiguren, die ohne männliche Anleitung und Belehrung denken und handeln konnten, waren eher eine Seltenheit. Eine der ersten - wenn nicht die erste überhaupt - wurde verkörpert von Sigourney Weaver, die 1979 in dem düsteren Science-Fiction-Klassiker »Alien« (»Im Weltraum hört dich niemand schreien«) und in dessen Fortsetzungen als Offizier Ellen Ripley resolut und mit Riesenwumme im Anschlag ihr Raumschiff von überaus böswilligen schleimigen Kreaturen reinigte und derart möglicherweise für die Frauenbewegung und die Aufhebung altbackener Geschlechterstereotype mehr getan hat als Alice Schwarzer, Judith Butler und ähnlich fragwürdige Zeitgenossinnen zusammengenommen.

Auf dem diesjährigen Fantasy Filmfest, schon immer auch der Abspielort raffinierter Rape-and-Revenge-Movies, zeigen sich die Folgen von Ripleys Pioniertat in buntester Vielfalt: Die bislang fügsame, vom permanenten Leistungsterror gebeutelte Mittelklasse-Ehefrau verweigert die Knechtschaft als Hausfrau und Mutter, indem sie sich über Nacht in ein wildes Tier verwandelt (»Bitch«); eine Kunststudentin blüht auf, seit sie sich entschlossen hat, ihre Freizeit dazu zu nutzen, Vergewaltiger um die Ecke zu bringen (»M.F.A.«). Mal wird das Western-Genre modernisiert und feministisch umcodiert (»Marlina The Murderer In Four Acts«), mal geht es um weibliche Selbstermächtigung durch Kannibalismus (»Raw«) oder die Herstellung weiblicher Autonomie durch die Weigerung, weiter Objekt statt Subjekt sexuellen Begehrens zu sein (»Bad Match«, »68 Kill«). Mal besiegen Frauen ihre Folterer (»Hounds Of Love«, »Killing Ground«), mal besiegen sie im Alleingang Monster (»Colossal«). Der Macker alten Schlages hat also nur noch bedingt etwas zu melden. Oder die männliche Figur wird wahlweise als gemeingefährliches Monstrum, hormongesteuertes Ekelpaket oder als irgendwie gutwilliger, süßer, wenn auch armseliger Trottel vorgeführt. Schön! Mit am schönsten aber geht es in der bonbonbunten feministischen Slasherfilm-Satire (ja, so etwas gibt es) »Tragedy Girls« zu, in der der handelsübliche Plot liebevoll travestiert wird: Hier jagt also kein psychopathischer Killer ahnungslose Pubertierende, sondern zwei überaus aufgeweckte Teenagermädchen, in weiblicher Solidarität miteinander verbunden, betätigen sich enthusiastisch als Serienkillerinnen. Wer viel Genrekost - von »Carrie« über »Halloween« und »Nightmare On Elm Street« bis zu den halbironischen »Scream«-Filmen der 1990er Jahre - gesehen hat, wird an dem Film Freude haben.

Übrigens: Auch die Frauen im Zuschauersaal entsprechen nicht dem Klischee der sich angstvoll die Augen zuhaltenden Heulsuse. Eher gibt es kräftigen Szenenapplaus und vereinzelte hämische Kiekser im Publikum, wenn der Macker besonders originell zu Tode kommt.

Fantasy Filmfest, Cinestar im Sony-Center, Potsdamer Straße 4, Mitte

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