Besser als Hagebuttentee und SPD
Das Fantasy Filmfest geht zu Ende. Ein Resümee
Man muss nicht das Fantasy Filmfest besuchen. Man kann sich natürlich stattdessen auch einen »Tatort« ansehen, wenn man unbedingt will. Kostet nichts und hilft beim Einschlafen. Es soll ja auch Leute geben, die lauwarmen Hagebuttentee für das schmackhafteste aller Getränke halten und freiwillig die SPD wählen. Die gehen auch nicht bei Rot und niemals nackt, unter Drogeneinfluss stehend und in Zickzacklinien über die Straße, auch nachts nicht. Sie gehen nur bei Grün, geradeaus, von A nach B, zielstrebig, nüchtern, ohne Pause und stets korrekt gekleidet.
Nehmen wir als Vergleichsgegenstand einmal die bildende Kunst: Eine »Tatort«-Folge ist ungefähr wie Caroline Friedrichs Gemälde »Frau auf der Treppe« (1818). Darauf ist eine Dame mit Schürze und Häubchen am oberen Ende einer Treppe zu sehen, das Ambiente ist karg, die Wände sind kahl. Der Stil, in dem es gemalt ist, ist, wie das gewählte Motiv, in seinem Protestantismus und seiner Biederkeit an Verschnarchtheit schwer zu übertreffen. Wie der »Tatort« eben. Denkt man hingegen an einige der besseren Filme des diesjährigen Fantasy Filmfests, kommt einem eher Marcel Duchamps Bild »Akt, Treppe heruntersteigend« (1912) in den Sinn, das in denselben beigebraunen Farben gehalten ist: Hier aber gibt es keine Schürze, kein Häubchen und keine Verschnarchtheit. Aber eine Dame, die eine Treppe herabsteigt, sofern man beide, Dame und Treppe, in dem Wust aus dynamisch ineinander verschachtelten geometrischen Formen zu erkennen gewillt ist.
Was damit gesagt sein soll: In Deutschland gibt es keinen Tarantino, keinen Scorsese, keinen Cronenberg. So ist das nun mal. Damit muss man leben lernen. In Deutschland gibt es Schweiger, Schweighöfer und Schlöndorff. Und es gibt Tempo-30-Zonen, Ampeln, Zebrastreifen, Hagebuttentee (Hiefe, Hiffen, Hiften) und die SPD (Scharping, Steinbrück, Steinmeier).
Auf dem Fantasy Filmfest dagegen sind seit Jahrzehnten in schöner Regelmäßigkeit Filme zu sehen, die ihre Story nicht sofort jedem Zuschauer preisgeben. Sie verschachteln sie, bauen reihenweise verstörende und schockhafte Momente ein, verkeilen diverse Handlungsstränge, Zeitebenen und Figurenkonstellationen derart ineinander, dass, was als Film daherkommt, sich am Ende als komplexes, irritierendes Rätselgebilde präsentiert: Filme, die den Schluss vor dem Anfang erzählen, in denen Gut und Böse keine scharf voneinander abgetrennten Kategorien sind, in denen der Traum und der Alptraum das Kommando übernommen haben und die die Sinn- oder Unsinnhaftigkeit ihres Plots dem Zuschauer als Denksportaufgabe mit auf den Weg geben. Aber in Deutschland, wo nun mal mehr Ildiko von Kürthy gelesen wird als Franz Kafka, versteht man derlei nicht.
Am Sonntag endet das Fantasy Filmfest in Berlin. Dann heißt es: warten auf nächstes Jahr, auf weitere Ausnahmefilme wie etwa die polnische Produktion »Playground«, eine bildstarke filmische Meditation über alltägliche Gewalt, die, so schreiben die Veranstalter, eine Szene beinhaltet, »die so endlos und schrecklich ist, das wir uns weit weg wünschen« (sie läuft am heutigen Samstag, 20.45 Uhr). Oder den koreanischen Over-The-Top-Action-Reißer »The Villainess« (Sonntag., 21.30 Uhr), der sich hervorragend dazu eignet, spontan im Kino das Bundestagswahlergebnis in angemessener Weise aufzuarbeiten (»63 der 70 Drehtage waren einzig den entfesselten Krawallszenen zugedacht«).
Bis zum Herbst nächsten Jahres heißt es also: Zeit überbrücken. Mit Hagebuttentee, der SPD und dem »Tatort«.
Fantasy Filmfest, Cinestar im Sony-Center, Potsdamer Str. 4, Mitte
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