Todernste Erziehung

Wie Thailand gegen Trunkenheit am Steuer kämpft

  • Christoph Sator, Bangkok
  • Lesedauer: 4 Min.

Am meisten Angst haben sie alle vor der Decke mit den Micky Mäusen. Niemand von dem Dutzend junger Männer sieht, was darunter liegt. Aber natürlich weiß es jeder. Ist ja auch klar, wenn man sich, gezwungenermaßen, im Leichenhaus eines der größten Krankenhäuser in Thailands Hauptstadt Bangkok befindet. Zudem zeichnen sich Kopf, Rumpf und Füße unter der Decke doch ziemlich deutlich ab. Bloß nicht drankommen also.

Der Besuch im Sirindhorn-Hospital ist Teil eines drastischen Erziehungsprojekts, mit dem Thailand gerade versucht, von seiner schlimmen Unfallstatistik wegzukommen. In keinem anderen Land der Welt - mit Ausnahme Libyens - ist der Straßenverkehr so gefährlich. Vergangenes Jahr starben 24 237 Menschen. In Deutschland waren es 3214. Meist ist Alkohol im Spiel.

Deshalb belassen es Regierung und Justiz seit ein paar Monaten nicht mehr allein mit Geld- und Haftstrafen, wenn Auto- und Motorradfahrer betrunken erwischt werden. Jetzt werden Verkehrssünder auch in Leichenhäuser geschickt - damit sie mit eigenen Augen sehen, was sie anrichten können. Und auch, was ihnen selbst passieren kann. 7000 mussten die Maßnahme schon über sich ergehen lassen.

Im Sirindhorn-Krankenhaus beginnt das Ganze morgens um neun, mit einem gemeinsamen Gebet zu Buddha. Um die 40 Leute stehen am Schrein: fast nur Männer, viele wild tätowiert, die meisten zwischen 18 und 25 Jahre alt. Und alle mit gesenktem Blick. Dann geht es, getrennt in drei Gruppen, sofort zu den Toten. Anfangs ist es noch laut. Doch im Kühlraum, wo die Leichen in Metallschränken liegen, redet keiner mehr.

Stattdessen hält der Medizinische Direktor der Klinik, Yolchai Jongjirasiri, eine Moralpredigt. »Ich flehe Euch an: Trinkt nie wieder. Ich will nicht, dass Ihr so endet wie die Toten hier.« Dann muss die Gruppe gemeinsam einen Schwur ablegen. »Schwört Ihr, dass Ihr das nie wieder tut?«, sagt Yolchai, ein inmitten der Sünder und Toten merkwürdig gut gelaunter Mann. Die Antwort im Chor, einmal, zweimal, dreimal: »Nein, das tun wir nie wieder.«

Damit fängt die Sache aber eigentlich erst an. Die Männer bekommen Kittel, Mundschutz, Handschuhe, Schrubber und Besen. Zunächst muss die Kühlkammer blank gewienert werden. Dann geht es in den Autopsieraum - dort, wo die beiden aktuellsten Toten liegen. Einer davon unter der Micky-Maus-Decke. Selbst in Thailand, wo man sich schnell daran gewöhnt, dass Disney-Figuren an den unmöglichsten Stellen auftauchen, ein merkwürdiger Anblick.

»Wir nennen das die ›Schocktherapie‹«, sagt einer der Verantwortlichen des Programms, Rayong Vienglor, über die ungewöhnliche Putzkolonne. »Das ist gewiss keine leichte Sache. Aber wir mussten uns einfach etwas Neues einfallen lassen.« Ob sich das Programm bewährt, weiß man noch nicht. Noch gibt es keine Statistik, wie viele der ersten 7000 Trunkenheitsfahrer rückfällig geworden sind. Frauen sind übrigens kaum darunter.

Offiziell gilt der Putzdienst in der Leichenkammer als gemeinnützige Arbeit. Wer weniger angestellt hat, kommt mit Musikunterricht für Kinder, Betreuung von Behinderten oder Gartenarbeit davon. Meist beträgt die Strafe zwischen 12 bis 48 Stunden. Nach dem Putzen machen alle den Eindruck, als ob sie die Botschaft verstanden hätten. Die Stimmung ist doch sehr gedrückt.

»Das ist das erste Mal, dass ich Tote sehe«, sagt Piyapong Manora, ein 30 Jahre alter Büroangestellter. »Das hat mir echt Angst gemacht, selbst mit der Decke drüber. Mir ist klar geworden, dass nichts im Leben sicher ist.« Der Geschäftsmann Thanakorn Jongjamfah (37) meint: »Auf gewisse Weise bin ich jetzt froh, dass ich in die Kontrolle geraten bin, bevor ich jemanden getötet habe.« Künftig will er nach einem Abend mit Freunden nicht mehr so leicht ins Auto steigen.

Andere nehmen sich die Lektion noch mehr zu Herzen. Der 24 Jahre alte Sontipop Temsongsai, ein Computer-Fachmann, verspricht: »Ich werde nie wieder etwas trinken. Nie wieder. So will ich nicht sterben.« Es sei schon schlimm genug gewesen, die Tränen seiner Eltern zu ertragen, nachdem er verurteilt worden war. »Ich will mir gar nicht vorstellen, was sie hätten durchmachen müssen, wenn ich hier als Leiche geendet hätte.« dpa/nd

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