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- Anti-AfD-Proteste
»Keine ruhige Minute«
In zahlreichen Städten Deutschlands kam es zu Protesten gegen die Wahlpartys der AfD
Einige AfD-Anhänger kommen zu spät. Polizisten müssen sie unter Buh-Rufen am Sonntagabend zur Wahlparty im Berliner »Traffic«-Club am Alexanderplatz eskortieren. Die Gäste, die bereits da sind, können sich derweil ihr Grinsen nicht verkneifen. Als die ersten Prognosen eintrudeln, stehen sie auf dem Balkon, trinken Sekt und rauchen betont entspannt Zigaretten. Zahlreiche Kameras sind auf sie gerichtet, aus Deutschland und der ganzen Welt. »Ihr habt die Wahl verloren«, grölen die rechten Anzug- und Kostümträger den Hunderten, unter dem Balkon versammelten Demonstranten entgegen. »Ihr habt den Krieg verloren«, rufen diese voller Spott und Wut zurück.
Mit fortschreitender Zeit steigt nicht nur die Gewissheit des Erfolgs der AfD sondern auch die Anzahl ihrer Gegner. Behelmte Polizisten haben sich in Reihen vor den Ein-und Ausgängen des Veranstaltungsortes sowie vor dem Balkon aufgebaut. Sie versuchen die Straßen frei zu halten, doch die Demonstranten sind zu viele. Scheinwerfer der Fernsehkameras leuchten im Regen immer wieder einzelne Gruppen der Aktivisten aus. »Alle müssen gegen diese Rechtsextremen nun aktiv werden, alle bürgerlichen Parteien, die Vereine, die Kirchen, die Gewerkschaften«, sagt der 42-jährige Jörg Reichel gegenüber »nd«.
Am späten Abend startet eine antifaschistische Demonstration unter dem Motto »Nicht in unserem Namen - Auf die Straße gegen AfD und Rechtsruck« mit rund 1000 Teilnehmern am Neptunbrunnen. »Nationalisten in die Spree - kein Raum der Afd« wird von der entschlossenen Menge skandiert. Am »Traffic«-Club schließt man sich dem dortigen Protest an. »Der Erfolg der AfD ist ein Zeichen für die Normalisierung des Hasses«, sagt Marlies Sommer von der linksradikalen Gruppe TOP gegenüber »nd«. »Die Partei ist das Symptom eines Rechtsrucks, der längst begonnen hat.« Nun werde man umso stärker gegen die AfD Kämpfen – »auf allen Ebenen, mit allen Mitteln«. An den Transparenten gibt es kurzzeitig Gerangel, die Polizei nimmt einzelne Personen in Gewahrsam und berichtet von Eier- und Flaschenwürfen.
Es ist 22 Uhr, immer mehr Menschen strömen zu den Protesten, darunter viele Anwohner und Passanten. Die AfDler haben mittlerweile auf Drängen des eigenen Sicherheitsdienstes den Balkon verlassen. Einige wollen nach Hause fahren, doch die Demonstranten blockieren von mehreren Seiten aus den Parkplatz des Gebäudes. Das Auto des genervten Brandenburger AfD-Chefs Andreas Kalbitz steckt fest, Polizisten müssen ihm den Platz frei räumen. Einzelne AfD-Anhänger diskutieren mit Beamten potenzielle Fluchtwege. Polizisten fragen bei Taxifahrern nach Unterstützung, doch mehrere verweigern einen Transport und schalten demonstrativ ihre Lichter aus. Ein Taxi entscheidet anders und fährt mit AfD-Gästen laut der Polizei drei Gegendemonstranten an. Diese wurden dabei offenbar leicht verletzt. Die Berliner Polizei ermittelt nun gegen den Fahrer wegen gefährlicher Körperverletzung.
Der Protest in Berlin geht gegen Mitternacht zu Ende, die letzten AfD-Anhänger verlassen unter dem Schutz des Sicherheitspersonals das Gelände. Unter den letzten Demonstranten befindet sich die 26-jährige Prima Kim aus Südkorea. Vor drei Wochen war sie endgültig nach Berlin gezogen, schon vorher hatte sie für ihr Studium aber länger in Deutschland gelebt. »Ich bin überrascht und enttäuscht, dass so viele Menschen hier die AfD gewählt haben«, sagt sie nachdenklich dem »nd«. Unsicher fügt sie mit Blick auf den »Traffic-Club« hinzu: »In Zukunft muss ich wohl noch mehr auf mich aufpassen.«
Auch in anderen Städten kam es am Sonntagabend zu Protesten gegen den Einzug der AfD in den Bundestag. In Köln gingen Hunderte gegen die lokale Wahlparty auf die Straße. Nach Angaben der Polizei zog der angemeldete Protestmarsch durch die Innenstadt in Richtung Neumarkt, wo eine Abschlusskundgebung geplant war. An der Demonstration beteiligten sich 700 Menschen. Auch in Frankfurt am Main protestierten über 800 Menschen gegen die Rechtsaußenpartei. Im sächsischen Leipzig waren es 500 Teilnehmer, in Dresden und Hamburg mehrere Hundert. In der Hansestadt mussten die AfD-Anhänger ihre Wahlfeier in einer Kneipe aufgrund der Proteste vorzeitig beenden. Auch in München, Halle, Mainz, Paderborn und Düsseldorf wurden Kundgebungen abgehalten.
Verschiedene linksradikale Organisationen äußerten Wut und Sorge angesichts des Wahlergebnisses der AfD. Die bundesweite linksradikale Kampagne »Nationalismus ist keine Alternative (NIKA)« erklärte am Montag, man sei »erschrocken« und »beunruhigt«, auch wenn ein solcher Ausgang angesichts der Umfragen wahrscheinlich war. »Nachdem sie bereits in 13 Landtagen sitzt, bedeutet das einen weiteren Institutionalisierungsschub für eine Party, die offen für Rassismus, Sexismus und Sozialchauvinisus steht«, so NIKA. Die Kampagne rief zu Protesten gegen den AfD-Bundesparteitag im Dezember in Hannover auf. »Wir werden den Reaktionären dieses Landes keine ruhige Minute lassen!« Die linke Politikerin und Aktivistin Jutta Ditfurth fasste die kommende Aufgabe am Sonntagabend wie folgt zusammen: »Tief durchatmen, organisieren, aufklären, kämpfen.«
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