Scheich ohne Gesicht ist nun Scheich vor Gericht

Prozess in Celle gegen einen angeblichen Spitzenmann des Islamischen Staates in Deutschland

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Sicherheitsvorkehrungen vor dem Oberlandesgericht waren hoch. Durchaus auch medienwirksam schloss das Gericht eine Befreiungsaktion oder einen Anschlag nicht aus. Die Verhandlung findet im Hochsicherheitstrakt des Gerichtes statt, die fünf Angeklagten im Alter zwischen 27 und 51 Jahren sitzen hinter einer Panzerglasscheibe.

Die Männer sollen Freiwillige für den IS geworben und sie in einer Hildesheimer Moschee fit gemacht haben für den Gotteskrieg in Irak und Syrien. Im vergangenen November griff die Polizei zu, nachdem sich Staats- und Verfassungsschützer verschiedener Länder das Treiben im inzwischen verbotenen »Deutschen Islamkreis Hildesheim« (DIK) genau angeschaut und die radikal-islamistischen Predigten von Abu Walaa ausgewertet hatten.

Der wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung Hauptangeklagte Abu Walaa ist ein 33-jähriger Iraker. Die Bundesanwaltschaft hält ihn für einen wichtigen Netzwerker des Dschihad in Deutschland. In Internetvideos präsentierte er sich mystisch als »Sheikh ohne Gesicht«, was offenbar unter Jugendlichen ankam. Die anderen Angeklagten mussten die entschlossensten der so Verführten nur noch abholen und sie Abu Walaa, der mit bürgerlichem Namen Ahmad Abdulaziz Abdullah A. heißt, zuführen.

Die Bundesanwaltschaft geht in ihrer Anklage davon aus, dass Abu Walaa und die vier Mittäter mindestens 15 Männer aus Niedersachsen und neun aus Nordrhein-Westfalen nach Syrien geschmuggelt haben. Einer soll sich in Irak in die Luft gesprengt und bis zu 140 Menschen mit in den Tod gerissen haben.

Die Anklage stützt sich auf einen Kronzeugen, der vom IS-Einsatz zurückgekehrt, in Düsseldorf ausgepackt hat und deswegen mit einer milden Strafe von zwei Jahren auf Bewährung davongekommen war. Murat Sertsöz, einer der Verteidiger, bezweifelt die Glaubwürdigkeit des Aussagewilligen. Lässt sich die erschüttern, sei der Prozess so gut wie geplatzt, meint der Rechtsanwalt.

Um das zu erreichen, muss auch widerlegt werden, was eine Vertrauensperson den Sicherheitsbehörden erzählt hat. Der Mann, in der Öffentlichkeit nur »Murat« genannt, gehörte über Monate zum Umfeld des IS-Predigers, kennt sich aus im islamistischen Geflecht von Hildesheim, aber auch in Duisburg und Dortmund.

Als die Polizei anrückte, um die Moschee und andere IS-Quartiere zu durchsuchen, war »VP 01« - wie es in der Geheimdienstszene heißt, »verbrannt«. Abu Walaa rief in seinen Internetbotschaften zur Hatz auf den ungläubigen Verräter auf und versprach »200 Euro für jeden Stich«.

Doch dazu kam es nicht. Und auch jetzt muss »Murat« wohl nicht vor Gericht aussagen. Wie in vergleichbaren Situationen wird sich das Gericht damit zufrieden geben, dass etwas »amtlich bekannt« geworden ist.

Beim Prozess wird sicher einiges über islamistische Netzwerke in Deutschland und möglicherweise auch darüber hinaus an die Öffentlichkeit dringen. Mit Sicherheit wird ein Anschlag in Essen zur Sprache kommen. Dabei war im April 2016 eine Bombe vor einen Sikh-Tempel explodiert. Gesprochen wurde auch über den Tunesier Anis Amri, der am 19. Dezember 2016 mit einem Lkw in den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz fuhr und zwölf Menschen tötete. Interessant: Abu Walaas Verteidiger behauptete am Dienstag, nicht sein Mandant sondern ein V-Mann aus Nordrhein-Westfalen habe Amri zur Mordtat angestiftet.

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