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Gegenwind aus Franken
CSU-Basis fordert erstmals Rücktritt des Parteivorsitzenden Horst Seehofer
Der Burgfrieden zwischen der CSU und der CDU währte nur kurz. Kaum ist die Wahl vorbei und das Ergebnis für die Christsozialen mit 38,8 Prozent der Wählerstimmen eher katastrophal, schon rollt wieder der bayerische Donner gegen Berlin. Ohne die Obergrenze bei der Zahl an Flüchtlingen werde es keine Beteiligung an einer Koalition geben, so die Signale aus der Münchner CSU-Zentrale. Doch ob Parteichef Horst Seehofer diese Taktik des verbalen Angriffs auf die Schwesterpartei weiter durchhalten kann, ist ungewiss. Schon regen sich Stimmen an der Parteibasis, die den Ingolstädter für das Wahlergebnis verantwortlich machen und einen Neuanfang wollen. Der selbst sieht allerdings nicht »den Hauch einer Personaldebatte«.
So fordert der Chef des CSU-Kreisverbands Nürnberg West, Jochen Kohler, Seehofers Rücktritt. Auf seiner Facebook-Seite schreibt er: »Auch wenn Herr Seehofer selber gesagt hat, dass er ›keine Sekunde‹ an einen Rücktritt denke, wir tun dies! Für einen personellen Neuanfang!« Auch der mittelfränkische CSU-Ortsverband Großhabersdorf fordert einen Rücktritt. Seehofer habe als Parteivorsitzender das historisch schlechte Abschneiden der CSU bei der Bundestagswahl persönlich zu verantworten, so die Ortsvorstände am Montag.
Die Rücktrittsforderungen kommen vor allem aus Franken. Auch der Fraktionsvorsitzende der CSU im Bezirkstag von Mittelfranken, Peter Daniel Forster, lässt über Facebook wissen, die Partei brauche einen personellen Neuanfang. Forster, zugleich Kreisvorsitzender des CSU Kreisverbandes Nürnberg-Süd, will die Parteibasis über die Nachfolge Seehofers entscheiden lassen.
Einiges mutet derzeit wie beim Sturz von Edmund Stoiber vor knapp elf Jahren an, als die Fürther Landrätin Gabriele Pauli den Aufstand gegen den damaligen CSU-Chef und bayerischen Ministerpräsidenten losbrach.
Inzwischen hat sich auch ein CSU-Landtagsabgeordneter zu dem Thema geäußert: Auch Alexander König aus Hof fordert den Rücktritt des CSU-Chefs. »Ich glaube, wir brauchen einen anderen Spitzenkandidaten für die Landtagswahl«, so der Oberfranke auf eine Anfrage des Bayerischen Rundfunks. Und: »Deswegen muss jetzt niemand heute Nacht zurücktreten, aber wir müssen uns Gedanken machen, wie wir nächstes Jahr die Landtagswahl gewinnen wollen.« Es gehe ihm nicht um Schuldzuweisungen, sondern um den Blick auf die Zukunft der CSU. Und wohl um die Zukunft eines möglichen Thronerben, dem aus Franken stammenden Finanzminister Markus Söder (CSU), der bereits seit Längerem in den Startlöchern scharrt.
Der gibt sich derzeit noch diplomatisch. Einerseits warnt er vor einer »Hau-Ruck-Entscheidung«, andererseits müsse man in die Partei hineinhorchen. Söder: »Nach so einem Debakel eines Wahlergebnisses ist es doch selbstverständlich, dass es an der Basis rumort und dass die Leute verunsichert sind. Das wird auch nicht die nächsten Tage vorbei sein.«
Rücktrittsforderungen an seinen Parteichef hat auch der designierte neue Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, zurückgewiesen. »Es gibt keine Personaldebatte in der CSU-Landesgruppe«, sagte Dobrindt am Dienstag vor einem Treffen der Gruppe in Berlin. Es gelte nun zuerst den Wählerauftrag nach der Bundestagswahl abzuarbeiten.
Nach Ansicht von Söder gehört dazu auf jeden Fall eine Obergrenze für Flüchtlinge. Auf die Frage, ob die CSU auch einen Koalitionsvertrag ohne diese Obergrenze unterschreiben würde, antwortete Söder am Dienstag im ZDF-»Morgenmagazin«: »Das kann ich mir nicht vorstellen.« Die Obergrenze bleibe eine »Kernforderung« der CSU, die freilich in Teilen der CDU und vor allem bei den Grünen auf Ablehnung stößt.
Doch Söder hält dagegen, dass sich das Land durch die Flüchtlingskrise »fundamental verändert« habe. Die Entwicklungen hätten auch zu dem Erstarken der AfD und dem Vertrauensverlust in die Volksparteien Union und SPD bei der Bundestagswahl geführt. Viele Menschen fühlten sich nicht mehr sicher. Leute hätten Angst, abends U-Bahn zu fahren, Frauen davor, allein zu joggen. Auf diese »Beschränkung des Lebensgefühls« brauche es bei einer Regierungsbildung eine Antwort. Söder zeigte sich dabei skeptisch, ob das mit den Grünen auch nur annähernd gehen könne. Zum Thema Obergrenze wies der Bayerische Flüchtlingsrat inzwischen erneut darauf hin, dass diese mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren sei.
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