Kein Lutschbonbon

Vor 120 Jahren begann die Karriere des erfolgreichen und populären Schmerzmittels Aspirin

  • Andrea Hentschel
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist eines der populärsten Arzneimittel überhaupt: Aspirin hat wie kaum ein anderes Medikament Medizingeschichte geschrieben. Die Karriere des Schmerzmittels begann vor nunmehr 120 Jahren ganz unspektakulär mit der chemischen Formel Acetylsalicylsäure, kurz ASS.

Am 10. August 1897 gelang es dem jungen Bayer-Chemiker Felix Hoffmann erstmals, die Acetylsalicylsäure in einer chemisch reinen und stabilen Form zu synthetisieren. Die Salicylsäure galt als altbekanntes Naturheilmittel, dessen schmerzstillende und fiebersenkende Wirkung seit über 2000 Jahren bekannt war. Schon Hippokrates soll seinen Patienten Aufgüsse aus der Rinde des Weidenbaums (lateinisch Salix) verordnet haben.

Salicylate bekam auch Hoffmanns Vater gegen sein Rheuma. Die Behandlung hatte allerdings erhebliche Nebenwirkungen. Die Säure verursachte Brechreiz und verätzte die Schleimhäute in Mund und Magen. Um das Leiden seines Vaters erträglicher zu machen, begann der Sohn zu experimentieren.

In der Verbindung von Salicylsäure mit simpler Essigsäure fand Hoffmann die Formel für ein haltbares und verträgliches Medikament, das Schmerzen lindert, Fieber senkt und entzündungshemmende Eigenschaften hat - ohne die unangenehmen Nebenwirkungen der Salicylsäure. Zwei Jahre später, 1899, brachten seine Arbeitgeber das Medikament auf den Markt - unter dem patentierten Handelsnamen Aspirin, mit dem bald alle Welt den Wirkstoff identifizierte.

Mehr als 70 Jahre blieb die Wirkweise von Aspirin ungeklärt. Erst 1971 wies der britische Pharmakologe John Vane nach, dass Acetylsalicylsäure die Synthese bestimmter Botenstoffe - sogenannter Prosta-glandine - hemmt und damit die Schmerz- und Entzündungsreaktion lindert. Vane erhielt dafür 1982 den Nobelpreis für Medizin.

Heute ist der Wirkstoff weder aus der Hausapotheke noch aus der Hightechmedizin wegzudenken. Das Mittel lindert nicht nur alle Arten des Kopfschmerzes vom Kater bis zur Migräne, es wird auch gegen Rücken- und Gelenkschmerzen eingesetzt und wirkt fiebersenkend und entzündungshemmend.

Erwiesen ist auch, dass ASS das Risiko von Herzinfarkten und Schlaganfällen senken kann. Das gilt insbesondere für Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen der Blutgefäße. Weil aber ASS die Verklumpungsneigung der Blutplättchen (Thrombozyten) wirkungsvoll herabsetzt, schlucken nach Schätzungen der Deutschen Herzstiftung inzwischen viele tausend gesunde Menschen regelmäßig ASS. Die Stiftung warnt jedoch vor einer unkritischen täglichen Einnahme.

Der Nutzen sei für Gesunde so gering, dass die Gefahren eventueller Nebenwirkungen überwögen. In Einzelfällen kann das Medikament zu schweren Blutungen in Magen-Darm-Bereich oder Gehirn führen. Die tägliche Einnahme sei deshalb in der Regel nur Menschen zu empfehlen, die früher bereits einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erlitten haben. Aber auch das sollte nicht auf eigene Faust erfolgen, sondern mit dem behandelnden Arzt besprochen werden. Unbenommen davon ist die kurzzeitige Einnahme von ASS etwa zur Behandlung von Kopfschmerzen.

Auch eine mögliche vorbeugende Wirkung gegen bestimmte Krebsarten wird erforscht. So scheint Acetylsalicylsäure bei langjähriger Einnahme das Darmkrebsrisiko zu senken. Auch das Risiko, an Krebs zu sterben, war in Studien geringer. Der Mechanismus ist noch nicht ganz klar. ASS und ähnliche Medikamente beeinflussen Entzündungsprozesse im Körper. Diese wiederum können an der Krebsentstehung beteiligt sein.

Allerdings raten Experten unter anderem vom Deutschen Krebsforschungszentrum von einer dauerhaften Einnahme von Aspirin zur Krebsvorbeugung ab. Auch ihnen geht es um die Nebenwirkungen. ASS bewirkt nicht nur eine Blutverdünnung und wird daher etwa nach einem Herzinfarkt gegeben. Es fördert zugleich die Blutungsneigung, was zu Blutungen sowie zu Geschwüren führen kann. Weitere mögliche Nebenwirkungen sind Übelkeit oder Sodbrennen.

Ob jemand von den Vorteilen profitiert oder eher unter den Nebenwirkungen leidet, hängt den Forschern zufolge unter anderem von der genetischen Veranlagung ab. Schmerzmittel seien »keine Lutschbonbons«, warnt daher die Deutsche Schmerzgesellschaft. AFP/nd

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