Ein Supergau in 500 000 Jahren
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Passagierflugzeug abstürzt und dabei ausgerechnet den Forschungsreaktor des Helmholtz-Zentrums in Berlin-Wannsee trifft, ist äußerst gering. Rein rechnerisch könnte dies alle 500 000 Jahre oder vielleicht auch nun alle eine Million Jahre vorkommen. Akute Gefahr besteht also nicht. Völlig ausgeschlossen ist es aber auch nicht. Schließlich führt eine der Abflugrouten vom künftigen Hauptstadtairport BER in Schönefeld vorbei an dem Reaktor, der kurioserweise BER II heißt.
Anwohner, deren Eigenheime nur einige hundert Meter entfernt vom Helmholtz-Zentrum stehen, fürchten einen Störfall bis hin zur Kernschmelze. Natürlich spielt der Fluglärm mit hinein. Ließe sich die Wannseeroute mit Verweis auf den Reaktor ausbremsen, dann würde Ruhe herrschen.
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) beschäftigte sich am Mittwoch mit zwei Verfahren zur Wannseeroute. Ein Fortsetzungstermin war von vorn herein für diesen Donnerstag anberaumt. Gegen die Wannseeroute geklagt hatten einerseits die Stadt Teltow und die Gemeinden Stahnsdorf und Kleinmachnow nebst sechs Bürgern, andererseits sieben Anwohner des Reaktors. In erster Instanz hatten die Anwohner einen Erfolg verbucht. Das OVG entschied, die Gefahr einer Reaktorkatastrophe durch einen Flugzeugabsturz sei nicht wie erforderlich geprüft worden. Das ließ sich das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung jedoch nicht gefallen. Es legte Revision ein - und erlitt vor dem Bundesverwaltungsgericht insofern wieder eine Niederlage, dass bestätigt wurde: es hätte eine Prüfung erfolgen müssen. Doch nachträglich prüfen sollte nun komischerweise nicht etwa das Amt, sondern das OVG.
So landete die Angelegenheit auf direktem Wege wieder bei Gerichtspräsident Joachim Buchheister und seinen Kollegen. Die hörten am Mittwoch zwei Sachverständige an: Birgitt Felbermeier und Karl Götz vom TÜV Süd, die zur Sache zwei Gutachten erstellt haben. Felbermeier erläuterte, sie habe die mögliche Trefferfläche großzügig mittels Schattenriss berechnet - also Länge und Breite des Reaktorgebäudes plus das Gelände, auf das ein Schatten fallen würde, wenn das Gebäude rundherum aus einem Winkel von 30 Grad angeleuchtet werden würde.
Das Bundesamt machte geltend, falls ein abstürzendes Flugzeug tatsächlich eine Ecke des in Leichtbauweise errichteten Hauses mitreißen würde, dabei nicht unbedingt das Reaktorbecken erwischt wird. Der gefährdete Bereich sei also im Prinzip viel, viel kleiner. Auch die Flugdichte in der Gegend und die Absturzquote von Passagiermaschinen sind Zahlen, die einbezogen werden müssen und Anlass für Streit geben.
»Wir forschen nicht danach, ob überhaupt mal etwas passiert«, erläuterte Richter Buchheister. Die juristische Entscheidung dreht sich um die Frage, ob das nie ganz auszuschließende Restrisiko so klein ist, dass es von den Anwohnern hingenommen werden muss.
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