Dank Nordkorea zum Wahlsieg
Japans Premier Abe löst das Parlament auf und hofft auf eine satte Mehrheit bei Neuwahlen
In Japan wird am 22. Oktober neu gewählt. Am Donnerstag löste Japans Premier Shinzo Abe das Unterhaus auf und machte damit den Weg für vorgezogene Neuwahlen frei. Die Angst der Japaner vor einer Eskalation der Nordkoreakrise gibt dem zuletzt angeschlagenen Regierungschef neuen Rückenwind.
Er wolle ein neues Mandat, um die »nationale Krise« zu überwinden, erklärte der 63-jährige Premier am Montagabend, als er zum zweiten Mal vorgezogene Neuwahlen in seiner bislang fünfjährigen Amtszeit ankündigte. Neben dem rasanten demografischen Wandel in der am schnellsten alternden Gesellschaft der Welt bezog sich Abe ausdrücklich auch auf die zunehmende Bedrohung durch Nordkorea.
Das Regime in Pjöngjang hatte in den vergangenen Wochen zwei Raketen über Japans nördlichste Hauptinsel Hokkaido geschossen, was in weiten Teilen des Landes Alarm ausgelöst hatte. Seit Monaten üben sogar Grundschüler erstmals seit Kriegsende wieder die Evakuierung im Falle eines Raketenangriffs. Mehrfach hatte Machthaber Kim Jong-un seine martialischen Kriegsdrohungen auch direkt gegen Japan gerichtet. Man werde Japan versenken, hatte das Regime erst vor wenigen Tagen wieder gedroht. »Wir dürfen uns nicht von den nordkoreanischen Drohgebärden abschrecken lassen«, warnte der Premier. Mit einem neuen Mandat der Bevölkerung werde er mit »starker Diplomatie« reagieren, versprach Abe.
Noch vor wenigen Monaten hätten Analysten vorgezogene Neuwahlen für ausgeschlossen gehalten, nachdem die Zustimmungsraten der regierenden liberaldemokratischen Partei (LDP) wegen diverser Vorwürfe von Vetternwirtschaft, von denen auch der Premier persönlich betroffen war, auf ein Rekordtief von weniger als 30 Prozent gesunken waren. Im Juli hatte Abes LDP bei den Tokioter Stadtparlamentswahlen haushoch gegen eine neue Partei von Gouverneurin Yuriko Koike verloren.
Doch in den vergangenen Wochen hat die eskalierende Nordkoreakrise alle Skandalvorwürfe überschattet. Im September hatten sich Abe und seine LDP auch dank entschiedener Worte in Richtung Pjöngjang wieder auf 50 Prozent Zustimmung erholt.
Offensichtlich will Abe auch die Schwäche der durch Rücktritte in der Führungsebene schwer angeschlagenen Demokratischen Partei ausnutzen. Nach diversen Parteiaustritten dümpelt die größte Oppositionspartei bei Zustimmungsraten im einstelligen Bereich vor sich hin.
Zu Abes wichtigsten politischen Zielen zählt die Durchsetzung einer umstrittenen Änderung der pazifistischen Nachkriegsverfassung, die es dem Land verbietet, Konflikte mit militärischer Gewalt auszutragen. Abe fordert einen Zusatz mit einer formellen Anerkennung des Militärs. Ob Abes neues Popularitätshoch inmitten der Nordkoreakrise allerdings ausreicht, um seine für eine Verfassungsänderung notwendige Zweidrittelmehrheit im Unterhaus zu behalten, ist fraglich.
Wenige Stunden, bevor Abe die Neuwahlen angekündigt hat, verkündete nämlich Tokio-Gouverneurin Koike die Gründung ihrer Partei Kibo (»Hoffnung«). Mit der Partei sagt sie Abes LDP auf nationaler Ebene den Kampf an. Eine regierungsfähige Mehrheit sagen Analysten der Abe-Widersacherin bislang nicht vorher. Doch sie hat nach Ansicht vieler Beobachter durchaus das Potenzial, Abes gegenwärtige große Mehrheit ernsthaft zu gefährden.
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