Madrid kontra Barcelona

Historische Wurzeln eines belasteten Verhältnisses.

  • Jörg Roesler
  • Lesedauer: 5 Min.

Spannungsfrei waren sie in den vergangenen vier Jahrzehnten wohl nie - die Beziehungen zwischen der spanischen Zentral- und der katalanischen Regionalregierung. Der Streit ging zumeist um den Autonomiestatus Kataloniens, darum, ob Barcelona ihn zu weit auslegte oder Madrid zu eng. Aber in diesem Jahr erreicht der alte Streit eine neue Qualität: Im Juli stellte die katalanische Regionalregierung einen Gesetzentwurf für ein am 1. Oktober geplantes Unabhängigkeitsreferendum vor. Entscheidet sich die Mehrheit der Katalanen für die Abspaltung, dann soll »innerhalb von zwei Tagen« ein verfassungsgebender Prozess eingeleitet werden.

Spaniens Ministerpräsident sprach empört von einem »Putschversuch«. Es werde »auf keinen Fall« ein Referendum geben, gab er, sich auf das spanische Verfassungsgericht berufend, zu verstehen. Darauf antwortete die katalanische Parlamentspräsidentin trotzig, »keine repressive oder juristische Aktion« könne das Referendum stoppen. Sie berief sich dabei auf Beschlüsse der UNO aus dem Jahre 1966 und auf das Beispiel Schottlands. Dessen Erste Ministerin hatte im März 2017 in Edinburgh ein Unabhängigkeitsreferendum angekündigt, das London zwar missbilligt, aber doch akzeptiert hatte. Die gleiche Duldung fordert die katalanische Regierung von der spanischen Zentralregierung ein. Die aber denkt nicht daran, sich am britischen Fall ein Beispiel zu nehmen.

Ein Rückblick in die Geschichte lässt erkennen, dass schon die Eingliederung Schottlands in Britannien gegenüber der Kataloniens in Spanien - beide vollzogen sich am Anfang es 18. Jahrhunderts - deutliche Unterschiede in der Verfahrensweise aufwies: Die Verhandlungen zwischen dem schottischen und dem englischen Parlament zogen sich zwar wegen des Widerstands der schottischen Unterhändler, denen es darum ging, so viele Rechte wie möglich durch die englische Verhandlungsseite anerkannt zu bekommen, über ein halbes Jahrzehnt hin. Sie wurden mehrmals unterbrochen und drohten zeitweilig zu scheitern. Doch im Juli 1706 erzielten beide Verhandlungsseiten Einigkeit über die 25 Artikel des künftigen Unionsvertrages.

Unter weitaus ungünstigeren Bedingungen vollzog sich die Eingliederung Kataloniens in die spanische Monarchie ein Jahrzehnt später. Seit der Heirat der Isabella von Kastilien mit Ferdinand von Aragon 1469 waren die beiden Königreiche - Katalonien war das Kernland des aragonensischen Königreichs - in Personalunion verbunden, denen 1516 die Realunion folgte. Sie beließ Katalonien seine Institutionen. Es verfügte weiterhin über die traditionellen Privilegien, die seine legislative, fiskalische und politische Autonomie garantierten. Sichtbar war der Autonomiestatus schon daran, dass der höchste Repräsentant Madrids in Katalonien nicht ein Provinzgouverneur war, sondern ein Vizekönig.

Ihren wiederholt erfolgreich bewahrten Status waren die Katalanen auch bereit zu verteidigen, als 200 Jahre später um die Thronfolge in Spanien gestritten wurde. Die Katalanen glaubten ihre Autonomie besser beim Kronanwärter Karl aufgehoben als bei seinem Herausforderer Philip und entschieden sich für ihn, als beide im Spanischen Erbfolgekrieg mit Waffengewalt um den spanischen Thron kämpften. Als daher Karl als König Karl III. im November 1703 in Barcelona einzog, standen die Katalanen hinter ihm. Der Kriegsverlauf gestaltete sich für den habsburgischen Kronprätendenten allerdings ungünstig. 1714 verzichtete Karl auf seine Thronansprüche. Die Katalanen waren nunmehr auf sich selbst gestellt. Das spanische Heer, so beschrieb es der spanische Historiker Ascargorta, »drang mit Feuer und Schwert in das Fürstentum ein. Barcelona ward von der See- und Landseite blockiert und mit Nachdruck angegriffen«. Im Sommer 1714 hielt nur noch die Hauptstadt der feindlichen Armee stand. Die Bürger verteidigten ihre Stadt zäh. Schließlich von den Stadtmauern getrieben, wurde in den Straßen weiter gekämpft. »Tausende Leben kostete jede Spanne Boden. Alles war Wut, Verwirrung, Metzelei, und die Stadt der Plünderung, den Flammen und der Verwüstung preisgegeben«, hieß es bei Ascargorta. Der Kampf, in dem die Katalanen vor allem einen Kampf zur Verteidigung ihrer Autonomierechte sahen, war mit der Einnahme Barcelonas endgültig verloren.

Nunmehr diktierte König Philip V. Die von ihm getroffenen Maßnahmen liefen auf die Gleichschaltung Kataloniens hinaus. Dessen mittelalterliche Verfassung, die die Basis für die politische Autonomie des Landes gebildet hatte, wurde abgeschafft. Das Steuersystem reformierte Philip zugunsten des Zentralbudgets in Madrid. Die katalanische Rechtsprechung wurde - mit gewissen Ausnahmen beim Zivilrecht - aufgehoben. Es galten von nun ab die Gesetze Kastiliens. Vor den Gerichten durfte nicht mehr katalanisch verhandelt werden. Schritt für Schritt wurde die »andersartige Sprache« auch aus den Schulen gedrängt.

Katalanisch war auch später, so während der Franco-Diktatur (1939-1975) unterdrückt. Erst 1978 wurde es in Katalonien als zweite Amtssprache neben Spanisch wieder zugelassen. Insgesamt jedoch mangelte es den Katalanen weiterhin an Selbstbestimmung. Ihre Forderungen flossen in den neuen Autonomiestatus ein, den die Regionalregierung erarbeitete und der 2006 in Kraft trat. Vier Jahre danach kippte das Verfassungsgericht in Madrid zentrale Teile des Statuts. 14 Artikel wurden als verfassungswidrig eingestuft. 27 sollten geändert werden. Daraufhin protestierten über eine Millionen Katalanen auf den Straßen Barcelonas, so auf den Ramblas, für das endgültige Ende des Hineinregierens Madrids und die Unabhängigkeit Kataloniens.

Heute sehen die Regierung und die Mehrzahl der politischen Parteien in Barcelona in dem Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober die einzige Möglichkeit, die Anerkennung der Katalanen als gleichberechtigte Nation auf der iberischen Halbinsel und innerhalb der Europäischen Union durchzusetzen. Da die spanische Regierung keine Volksabstimmung tolerieren will, hat die Mehrzahl der katalanischen Politiker entschieden, »das Terrain des zivilen Ungehorsams zu betreten«. Bleibt zu hoffen, dass es an diesem Wochenende nicht zu Gewalt wie 1714 kommt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.