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Links für ein städtisches progressives Milieu
Verankerung in antirassistischen Bewegungen, progressiven akademischen Milieus und bei Erwerbslosen: Gastbeitrag von Jakob Migenda zur Debatte um die Strategie der Linkspartei
Nach dem Rechtsruck bei der Bundestagswahl bläst uns der Wind zweifelsohne scharf entgegen. Auf einem Schiff hat man bei Gegenwind zwei Möglichkeiten: einfach eine Kehrtwende machen oder gegen den Wind kreuzen um das Ziel im Auge zu behalten. Wir wären schlecht beraten unser Ziel aufzugeben, im scharfen kalten rechten Wind klein beizugeben und in den Chor der anderen Parteien einzustimmen. Stattdessen sollten wir die Lage analysieren und uns überlegen, wie wir uns dem Rechtsruck entgegenstellen und dabei stärker werden können.
Wenn Sahra Wagenknecht am Wahlabend, als ein klares Statement gegen den Rassismus der AfD bitter nötig gewesen wäre, überlegt, ob wir es uns in der Geflüchtetenfrage zum Teil zu leicht gemacht hätten, ist das ein Einknicken vor dem Gegenwind und ein fatales Signal. Genauso wie Oskar Lafontaines Stoß in das gleiche Horn ein paar Tage später.
Ich habe vor und im Wahlkampf manche Gespräche mit Schwankenden geführt, die auch Ängste vor Migration haben. Da kommen durchaus auch Aussagen, bei denen man schlucken muss. Aber trotzdem habe ich mir die Zeit genommen mit ihnen zu reden und auf die fehlenden Investitionen in Infrastruktur und Sozialsysteme, auf Fluchtursachen und auf unsere Konzepte hingewiesen. Sicherlich habe ich nicht alle überzeugen können, aber ich habe es mir bestimmt nicht leicht gemacht. Und manche habe ich damit für eine soziale Politik erreicht, ohne antirassistische Grundsätze aufzugeben. Genauso wenig haben es sich tausende unserer Genoss*innen zu leicht gemacht, die im ganzen Land genauso gehandelt haben.
Wir sollten auch nicht vergessen, dass Umfragen belegen, dass uns der Großteil unserer Anhänger*innen nicht trotz unserer Asylpolitik unterstützt, sondern voll hinter ihr steht. Wenn wir von unserer Position abweichen, werden wir keine Menschen erreichen, die für uns vorerst sowieso verloren sind und nur wenig Schwankende gewinnen. Aber wir werden viele, für die wir der letzte Verbündete im deutschen Parteiensystem sind, verlieren.
Statt vor dem rechten Gegenwind klein bei zu geben und bei der Kehrtwende unsere Verbündeten über Bord gehen zu lassen, müssen wir uns viel dringender fragen, wie wir strategisch vorankommen, um in den kommenden vier Jahren stärker zu werden. Dafür müssen wir sowohl einen Blick auf die Parteienkonstellation werfen, als auch auf die tieferliegenden gesellschaftlichen Entwicklungen.
Wir haben es einerseits mit einer SPD zu tun, die auch in der Opposition keine ernsthaften Anstalten unternimmt nach links zu rücken. Andererseits haben wir Grüne, die in der Regierung mit Union und FDP sicherlich nach rechts rücken werden. Sie werden den linken Flügel ihrer Mitglieds- und Wähler*innenschaft kaum integrieren können. Das lässt viel offenen linken Raum, den wir füllen müssen und zugleich minimiert es Chancen auf eine linke Regierung in vier Jahren.
Um diese Lücke zu füllen und die Menschen zu erreichen, müssen wir zwei politische Schwerpunkte weiter vertiefen: Erstens die Verankerung in progressiven und antirassistischen Bewegungen um ein Sprachrohr für ein – zunehmend prekäres! – städtisches progressives akademisches Milieu zu sein, das sich von den Grünen immer weiter entfremdet. Und zweitens die Verankerung vor allem in den Dienstleistungsgewerkschaften um ein Sprachrohr gegen die fortschreitende Prekarisierung zu sein und Klassenmacht politisch und gewerkschaftlich zu organisieren. Um verankert zu sein, müssen wir auch personell vertreten sein. Es muss selbstverständlich sein, dass die Vertrauensfrau von ver.di, die Sprecherin einer Mieter*inneninitiative oder der Helfer im Geflüchtetenheim Genoss*in ist, so erreichen wir auch neue Wähler*innen.
Diese strategische Ausrichtung ist sicherlich nicht immer widerspruchsfrei, aber es ist keineswegs ein Spagat. Beide Gruppen nähern sich sozioökonomisch und lebensweltlich immer weiter an: Immer mehr Berufe verlangen eine Hochschulausbildung und immer mehr Akademiker*innen leben prekär.
Bei unserer Ausrichtung dürfen wir auch eine dritte Gruppe nicht vergessen. Wir müssen es wieder schaffen Arbeitslose so stark zu vertreten wie 2005 und 2009. Wir müssen es schaffen mit Haustürgesprächen, Sozialberatungen und geselligen Veranstaltungen in Brennpunkten eine Kümmererpartei 2.0 zu sein. Und wir müssen unsere Politik gegen Hartz IV und soziale Ungerechtigkeit laut und manchmal auch aggressiv hörbar machen. Wenn wir zu leise und zu brav sind, ist es rational einen anderen schrilleren Protest zu wählen um überhaupt durchzudringen – oder noch wahrscheinlicher ganz zu resignieren.
Wenn wir unsere Strategie auf diese drei Gruppen ausrichten, können wir unser Potential am besten ausschöpfen und linke Politik stärken. Diese Strategie hält und vertieft den Kurs – eine opportunistische Wende ist nicht nötig.
Jakob Migenda ist Bundessprecher der linksjugend solid.
Lesen Sie zu dieser Debatt auch:
>> »Wenn Flüchtlingspolitik soziale Gerechtigkeit außer Kraft setzt« von Oskar Lafontaine
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