- Politik
- Katalonien
»Raus mit den Besatzungskräften«
Landesweite Proteste und Generalstreik gegen den Einsatz der spanischen Polizei in Katalonien
Es ist ein eingängiger Slogan: »Raus mit den Besatzungskräften«. In Katalonien ist er am Dienstag überall auf den Straßen skandiert worden. Hunderttausende Menschen versammelten sich an vielen Orten der Region, angefangen von der Hauptstadt Barcelona. Auch an Barrikaden auf Hauptstraßen und Autobahnen sind Sprechchöre angestimmt worden: »Die Straße ist unsere und sie wird es immer bleiben.«
In den Städten waren Barrikaden unnötig, die Straßen wie in Barcelona oft von Demonstrationszügen blockiert. Das ist die klare Antwort in Katalonien auf das brutale Vorgehen Spaniens gegen das vom Verfassungsgericht für illegal erklärte Referendum über die Unabhängigkeit am Sonntag.
Am Dienstag ist Katalonien weitgehend lahmgelegt, Touristen stehen an einer geschlossenen Kathedrale Sagrada Familia, vor verschlossenen Kneipen, Geschäften, Metrostationen. Aufgerufen haben zum Streik nicht nur Gewerkschaften, Universitäten und Institutionen, sondern auch Unternehmervereinigungen.
Am Sonntagabend war die Feierstimmung über die friedliche demokratische Abstimmung in mehr als 2000 Wahllokalen in dem Maß auch Wut gewichen, in dem Details über das Vorgehen der paramilitärischen Guardia Civil und Nationalpolizei bekannt wurden. Brutal gelang es den spanischen Sicherheitskräften, gegen den zivilen friedlichen Ungehorsam, nur knapp 100 Wahllokale zu schließen. Schulen wurden zum Teil von denen zerstört, die für die öffentliche Ordnung sorgen sollen, um Wahlurnen zu beschlagnahmen. Oft stellten sich Feuerwehrleute und Beamte der katalanischen Regionalpolizei Mossos d’Esquadra schützend vor die Wähler.
Soweit das »nd« feststellen konnte, fand zumeist eine weitgehend normale Abstimmung statt. Nach bisherigen Angaben der katalanischen Regierung konnten fast 2,3 Millionen Stimmen ausgezählt werden. Davon haben mehr als 90 Prozent mit einem Ja für die Unabhängigkeit gestimmt. Das sind fast 43 Prozent der Wahlberechtigten. Zu beachten ist, dass zahllose Stimmen nicht gezählt werden konnten, die »gestohlen« worden seien, wie angemerkt wurde.
In einigen Wahllokalen musste die Abstimmung frühzeitig abgebrochen werden, da neue Angriffe befürchtet wurden. Bisweilen flohen die Vorsteher und Beisitzer mit den Urnen, um sie vor Beschlagnahme zu retten. Dafür gab es in allen Wahllokalen stets mehrere ausgefeilte Pläne. Zahllose Stimmen konnten aber nicht gezählt werden oder viele Wähler nicht mehr wählen, die zum Teil Stunden in langen Schlangen im Regen ausgeharrt hatten.
Bestätigt hat eine »weitgehend normale« Abstimmung auch Andrej Hunko. Der Bundestagsabgeordnete und europapolitische Sprecher der Linkspartei war Teilnehmer einer internationalen Delegation, die das Referendum überwacht hat. Allerdings wurde der Bundestagsabgeordnete auch Zeuge massiver Gewalt. In einem Wahllokal wurde er Zeuge vom Einsatz der »in Katalonien verbotenen Gummigeschosse gegen Demonstranten«. Eine Person wurde schwer verletzt, eine weitere Person erlitt bei einem brutalen Einsatz einen Herzinfarkt und befindet sich weiter in einer kritischen Lage.
Insgesamt wurden Hunderte Menschen verletzt und es kam auch zu sexuellen Übergriffen, die auch die Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, die ungültig gestimmt hat, angeprangert hat. Die Stimmung ist zwar nun deutlich gespannter, doch herrscht weiter Friedfertigkeit. »Hunderttausende sind singend und klatschend auf den Straßen«, berichtete Hunko dem »nd« von der Demonstration am Dienstag in Barcelona. Er sprach von einer »inspirierenden und beeindruckenden« Atmosphäre. »Widerliche national-chauvinistische Töne sucht man vergebens.«
Tatsächlich streiken und demonstrieren nun auch Menschen mit spanischen Fahnen, die empört über das Vorgehen der rechten Volkspartei (PP) in Katalonien sind und sich ihre Grundrechte nicht nehmen lassen wollen. Am Wahlsonntag wurden auch 170 000 Wähler beklatscht, die gegen die Unabhängigkeit waren und zum Teil mit spanischen Fahnen ausgestattet zur Abstimmung gingen.
Politisch richtet sich der Blick auf eine internationale Vermittlung, die auch Hunko erhofft. Die hatte der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont am Montag gefordert. Dass die EU diese Rolle nach dem bisherigen Verhalten von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker übernehmen kann, hält er für fraglich. Dialog fordern auch die spanischen Linksparteien. Podemos (Wir können es) und Vereinte Linke halten dafür den Rücktritt von Rajoy für nötig.
Die sozialistische Partei PSOE will bisher nur die spanische Parlaments-Vizepräsidentin offiziell »rügen« lassen. Soraya Sáenz de Santamaría sei als Ministerin für Katalonien für die Vorgänge verantwortlich, erklärte Sprecherin Margarita Robles. Die Zeit drängt. Das katalanische Referendumsgesetz sieht eine Unabhängigkeitserklärung in 48 Stunden nach der Veröffentlichung des Abstimmungsresultats im Falle einer Ja-Mehrheit vor. Das Ergebnis wird für Mittwoch erwartet.
Die spanischen Rechtsparteien gießen weiter Öl ins Feuer. Die Ciudadanos, die Rajoy stützen, fordern die Aussetzung der katalanischen Autonomierechte. Der PP-Sprecher Rafael Hernando sprach von einem »politischen Nazi-Streik«. Er forderte von Puigdemont, die »Konfrontation« zu stoppen und sich nicht länger hinter »gewalttätigen Haufen« zu verstecken, so als hätten dessen Regierung oder die Katalanen brutale Gewalt eingesetzt.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.