• Politik
  • Debatte um den Heimatbegriff

Heimweh mit Widerhaken

In der Debatte über ein Bundesministerium für Heimat zeigt sich der Opportunismus der aktuellen Politik

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Thüringer CDU-Fraktionschef Mike Mohring ist gerade in aller Munde. Er schlägt ein Heimatministerium als Teil der neuen Bundesregierung vor. Die Institution ist Mohrings Antwort auf die Erfolge der AfD. »In einem Heimatministerium könnte man die Bedeutung des ländlichen Raums stärken. Das wäre eine gute Antwort auf die Sorgen der Bürger in Ost und West, die sich abgehängt fühlen«, meinte Mohring gegenüber der »Berliner Zeitung«.

Mohring greift damit einen Beschluss auf, den die Vorsitzenden der Unionsfraktionen in Bund und Ländern schon im März fällten. Sie wollten ein solches Ministerium dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft anschließen. »Gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland zu gewährleisten, bleibt eine Daueraufgabe. Um diese Herausforderung zu bewältigen, sprechen wir uns für die Schaffung eines Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft, ländliche Räume und Heimat aus«, hieß es im März.

Die Fakten scheinen dafür zu sprechen, dass die Heimat fest in der Hand der Konservativen ist. Linke tun sich oft schon mit dem Begriff schwer, weil sie ihn für den Anfang der Ausgrenzung und das Ende einer offenen Welt halten. Die meisten Menschen denken anders. Auch ein Ministerium in Sachen Heimat wäre keine Premiere, auf Landesebene gibt es so etwas bereits. Die neue schwarz-gelbe Landesregierung Nordrhein-Westfalens schuf in diesem Jahr ein Heimatministerium für ländliche Entwicklung. Und in Bayern gibt es schon seit 2014 ein Heimatministerium. Genauer gesagt, handelt es sich dort um ein Doppelministerium Finanzen/Landesentwicklung und Heimat. Das ist nach Ansicht des zuständigen Ministers, Markus Söder (CSU), eine günstige Paarung. Weil er als Heimatminister, der die nötigen Mittel für Regionalentwicklung benötige, mit dem Finanzminister meist recht gut klarkomme. Auch wenn Söders Kritiker gern und giftig anmerken, dass des Ministers Regionalförderung sich bisher auf Fördermittel für den Breitbandausbau beschränke.

Das wäre ja auch schon etwas. Allerdings ist damit kaum erklärt, wieso ländliche Entwicklung zum Wirkungsfeld eines Heimatministeriums gehört, städtische Entwicklung aber nicht. Es erklärte auch nicht, wie genau die Unionsparteien mittels eines solchen Ministeriums auf das wachsende Bedürfnis nach Heimat reagieren wollen, das auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei den Menschen identifiziert hat, wie seiner Rede am Tag der deutschen Einheit zu entnehmen war - gerade bei den abgehängten und enttäuschten. Die Gleichheit der Lebensverhältnisse verlangt nicht nur Differenzen auszugleichen zwischen Stadt und Land. Mauern machte Steinmeier zwischen »unseren Lebenswelten aus: zwischen Stadt und Land, online und offline, Arm und Reich, Alt und Jung - Mauern, hinter denen der eine vom anderen kaum noch etwas mitbekommt«. So gesehen müsste allen Ministerien der Bundesregierung jeweils ein Heimatministerium angegliedert werden.

Zumal: Viele verstehen Verschiedenes unter Heimat. Sicher scheint nur, dass nun alle Widrigkeiten, die den Menschen begegnen und ihr Wahlverhalten so beeinflussen, dass davon die AfD gestärkt wird, in einen Zusammenhang mit Heimat gestellt gehören. Heraus kommt eine Große Koalition der Heimatverbundenheit. Sogar die Grünen näherten sich dem Begriff auf ihrem jüngsten Kleinen Parteitag. Zum Erstaunen manches Grünen bekannte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt: »Wir lieben dieses Land, das ist unsere Heimat, und diese Heimat spaltet man nicht.«

Heimatliebe ist nichts Schlechtes, im Gegenteil. Und die Grünen fügten dieser auf ihrem Länderrat noch das Attribut »europäisch« hinzu. Nun wollen sie »alles dafür tun, dass dieses Land zusammenbleibt, dass es europäisch bleibt. Für diese Heimat, für dieses Land werden wir kämpfen in einer Koalition.« Mit einem Extra-Ministerium? Dieses wäre überfordert zumindest mit dem, was Steinmeier sich vorstellt. Nämlich die Mauern einzureißen, die »unserem gemeinsamen ›Wir‹ im Wege stehen«. An dieser Stelle bricht die Analyse des Bundespräsidenten leider ab. Das Heimweh, das die Menschen und also auch ihn als ihr Staatsoberhaupt gepackt hat, sieht er vor allem von einem Thema verursacht. Vom Thema Nummer eins schlechthin: von Flucht und Migration. Nichts stehe dem Wir so deutlich im Wege, meinte Steinmeier. »Nirgendwo sonst stehen sich die Meinungslager so unversöhnlich gegenüber - bis hinein in die Familien, bis an den Abendbrottisch.« Damit das endet, müsse Deutschland sich »ehrlich machen«, nämlich die »Wirklichkeit der Welt und die Möglichkeiten unseres Landes überein bringen«.

Beinahe unschuldig wirkt daran gemessen Mike Mohrings Forderung nach einem Heimatministerium. Und mit den Defiziten der ländlichen Entwicklung hat er immerhin eine wirkliche Ursache für Heimatverlustgefühle sehr vieler Menschen genannt.

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