Puigdemont greift König und Brüssel an

Kataloniens Regierungschef zeigt Dialogbereitschaft, kritisiert aber Spanien und die EU-Kommission deutlich

  • Ralf Streck, San Sebastián
  • Lesedauer: 3 Min.

Kataloniens Regierungschef Carles Puigdemont sucht weiter einen Dialog und einen »Vermittlungsprozess« in dem Konflikt mit Spanien: »Frieden, Dialog und Abkommen sind Teil unserer Kultur, doch wir haben niemals eine Antwort vom Staat erhalten und das ist eine große Verantwortungslosigkeit«, klagte er bei seiner mit Spannung erwarteten Rede am Mittwochabend.

Inzwischen fordert die gesamte spanische Opposition von der rechten Regierung unter Mariano Rajoy, endlich die Verweigerung aufzugeben und zu verhandeln. Dialog und Vermittlung hatten am Mittwoch auch Vertreter aus praktisch allen Fraktionen im Europaparlament bei der Debatte über Katalonien gefordert. Das »brutale Vorgehen« spanische Sicherheitskräfte, um im Auftrag der spanischen Regierung eine »illegale« Abstimmung über die Unabhängigkeit »mit allen Mitteln« zu verhindern, wurde lagerübergreifend kritisiert. Dass mitten in Europa Gummigeschossen und Knüppel gegen friedliche Wähler eingesetzt würden, sei »skandalös«, waren sich von schwedischen Konservativen bis grünen Österreichern viele einig.

Auch das zurückhaltende Verhalten der EU-Kommission wurde kritisiert, die aber nun auch einen Dialog fordert. Einmischen will sich Brüssel aber nicht und spricht weiter von einem »internen« spanischen Konflikt, wie Vizepräsident der Kommission, Frans Timmermans sagte. Muss sich also Katalonien erst unabhängig erklären, damit es kein interner Konflikt mehr ist? Zwar sei die Tür stets offen für einen Dialog, sagte Puigdemont, doch die »katalanischen Institutionen müssten «das Referendumsergebnis» umsetzen, da 90 Prozent der Abstimmenden sich für die Unabhängigkeit ausgesprochen haben.

Er kritisierte, dass in Brüssel mit zweierlei Maß gemessen werde. «Fundamentale Freiheitsrechte» europäischer Bürger würden verletzt, «aber von der EU kommt nichts». Madrid gehe längst wie «ein autoritärer Staat» vor, sagte Puigdemont. «Die spanische Regierung lässt politische Gegner festnehmen, beeinflusst Medien, lässt Internetseiten blockieren.» Wenn das in «der Türkei, Polen oder Ungarn passiert, ist die Empörung dagegen riesig.»

Er griff in seiner Rede den spanischen König an. Der hatte am Vorabend nicht die ihm von der Verfassung zugewiesene Vermittlerrolle eingenommen. Stattdessen forderte Felipe keinen Dialog, sondern ein hartes Vorgehen um die «Ordnung» wiederherzustellen. Von den Worten des formalen Militärchefs fühlen sich spanische Rechtsradikale in ihrem Kurs bestärkt. Während schon von der Verlegung von Militäreinheiten nach Katalonien berichtet wird, drohte Verteidigungsministerin María Dolores de Cospedal erneut mit ihrem Einsatz. Die Streitkräfte hätten die Aufgabe, die «Souveränität und Unabhängigkeit Spaniens zu garantieren und die Integrität sowie die verfassungsmäßige Ordnung zu verteidigen», sagte sie am Donnerstag.

Zwei Expertenteams, die das Referendum am vergangenen Sonntag überwacht haben, kommen zu einem klaren Ergebnis. Im Text von 17 Beobachtern unter der Leitung der Neuseeländerin Helena Catt, Direktorin der Wahlbehörde in ihrem Land, wird von einer «Operation militärischen Stils» gegen die Teilnehmer am Referendum gesprochen, die «zentral und sorgfältig vorbereitet war. Die Experten waren bestürzt über »vermummte Einheiten, die in Wahllokale eindrangen, um einen friedlichen demokratischen Prozess zu verhindern.« In der überwiegenden Zahl der Wahllokale konnte weitgehend normal abgestimmt werden, weshalb man eine »Abstimmung« mit »substanzieller Beteiligung« trotz enormer Hindernisse beigewohnt habe. Catt erklärte: »Dieser Prozess muss anerkannt werden.«

Der Plan von Carles Puigdemont, am Montag das katalanische Parlament über eine Unabhängigkeitserklärung abstimmen zu lassen, wird durch das spanische Verfassungsgericht erschwert. Sie hat die für Montag geplante Sitzung des katalanischen Regionalparlaments zum Unabhängigkeitsreferendum vorläufig untersagt. Das teilte eine Sprecherin des Gerichts am Donnerstag in Madrid mit. Es ist nicht das erste Mal, dass das Verfassungsgericht Parlamentssitzungen in Katalonien verbietet und es wäre auch nicht das erste Mal, dass sie trotzdem stattfindet. Entspannung ist nicht in Sicht.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -