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Dröhnende Ruhe
Sieben Tage, sieben Nächte: Deutschland im Herbst, das heißt in diesem Jahr vor allem Stillstand, meint Gabriele Oertel
Eigentlich gehört es auch zur Aufgabe dieser Kolumne, die Leser entspannt und wohl gelaunt in das Wochenende zu führen - am Besten mit einem versöhnlichen Blick auf die vergangenen Tage oder einer optimistischen Vorschau auf Künftiges. Wenn Sie das auch diesmal erwarten, können Sie die Leseübung an dieser Stelle gleich wieder einstellen. Denn hinter uns liegt mit dem Einzug der rechten AfD in den Bundestag, der vagen Jamaika-Option und dem beispiellosen Auf-Zeit-Spiel der Kanzlerin wahrlich keine lustige Zeit.
Und vor uns erst recht nicht. Da ist Gaulands Jagd-Drohung, Lindners mühsam gezähmte Vorfreude und die durch Nahles eröffnete wenig erbauliche Aussicht, dass demnächst im Parlament zwischen Regierung und Opposition im wahrsten Wortsinn handfeste Argumente zur Anwendung gebracht werden. Eine Regierung bekommt dieses Land - das ist uns schon von höchster Stelle aus beschieden - sowieso erst im tiefsten Winter.
Bis dahin ist nicht nur Regen und Sturm zu trotzen. Deutschland im Herbst, das heißt 2017 vor allem: Stillstand zwischen Bundestagswahl und nächster Landtagswahl. Dröhnende Ruhe. Warten auf Godot. Geschlossene Gesellschaften in Regierungsstuben wie Parteizentralen. Ängstliche Vorahnungen. Hilflose Erklärungsversuche. Dümmliche Durchhalteparolen.
Bei all dem ist verständlich, dass der eine oder andere von all dem nichts mehr hören kann und will. Sich einen schlanken Fuß macht. Einfach abhaut, in die innere Emigration geht oder seinen Zynismus pflegt. Ein Zeichen von Tapferkeit aber ist das nicht. Das gilt für alle Lebenslagen. Und jeden von uns, beruflich wie privat. Das gilt aber vor allem für all jene, die an der jetzigen Situation in diesem Land wahrlich nicht unschuldig sind.
Oder haben Sie in den letzten zwei Wochen irgendetwas von Sigmar Gabriel gehört? Abgetaucht ist der Mann mit dem flotten Mundwerk von einst. Der SPD-Kandidatenmacher, der gern andere in den Kampf geschickt hat. Man munkelt, er habe mit der Politik abgeschlossen, denke über einen neuen Job nach und wolle sich demnächst als Hinterbänkler durch den Bundestag schleppen. Auch Horst Seehofer hat sich, nachdem ihm erstmals ein laues Lüftchen aus den eigenen CSU-Reihen entgegenwehte, in den letzten Tagen verdammt rar gemacht. Und die Kanzlerin will ja sowieso fürderhin nichts anders machen als bisher - was immer bei ihr auch hieß, in gepflegten und immer kürzeren Abständen auf Tauchstation zu gehen.
Aber das sind ja irgendwie auch gute Nachrichten. Ein bisschen zeigen uns in diesen Tollhauszeiten angebliche Macher, ohne die man sich den politischen Betrieb in den letzten Jahren fast nicht vorstellen konnte, dass die Welt sich auch in ihrer Abwesenheit weiterdreht. Und das lässt doch schon wieder hoffen. Schönes Wochenende!
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