Innere Reise
Marion Poschmanns japanische Geheimnisse
Verwunderung und Irritation, Staunen, wie die Erlebnisse dieses sonderbaren Menschen Gilbert Silvester einem so mitreißend werden können - und wenn man das Buch zuschlägt, ein eigentümliches Gefühl: eine ruhige Heiterkeit plötzlich, die man so nicht erwartet hätte.
Als ob man von weit weg nach Hause gekommen sei und das Alltägliche nun erst richtig würdigen könnte. Und nicht nur daran liegt es, dass Gilbert, aus dessen Sicht Marion Poschmann erzählt, sich langsam wieder seiner Frau annähert, die er verließ, nachdem er geträumt hatte, sie hätte ihn eines Anderen wegen verlassen. Sein »Mathilda, Liebste« am Schluss zeigt doch nur, dass er selber ein Anderer geworden ist. Nein, ein Anderer, das ist er vorher gewesen. Er ist wohl endlich er selbst geworden.
Dabei hatte er sich entfliehen wollen. Nach dem Traum und dem blöden Streit bucht er den erstbesten Langstreckenflug. Da nimmt uns die Autorin mit nach Tokio, taucht mit uns zusammen in eine befremdliche Wirklichkeit ein, die sie uns indes erklärt. Etwas Gelehrsames ist im Text, aber das ist nicht unangenehm. Ohnehin hat Gilbert Silvester ein recht exotisches Forschungsgebiet: Gesponsert von »der nordrhein-westfälischen Filmindustrie sowie zu kleineren Teilen von einer feministischen Organisation in Düsseldorf und der jüdischen Gemeinde der Stadt Köln«, untersucht er »die Wirkung von Bartdarstellungen im Film«.
Da dürfen wir lächeln, wie überhaupt sehr oft in diesem Buch. Es liegt eine leise Ironie über dem Text, die gar nicht mal nur Gilbert und seinem japanischen Begleiter gilt, sondern den Schwierigkeiten überhaupt, in die Menschen kommen können.
Yosa Tamagotchi mit seinem falschen Bärtchen und mit einem Handbuch für Selbstmörder in der Tasche, ist auf seine Weise ein ebenso verklemmter Typ wie Gilbert Silvester, der indes von ihm einiges über japanische Lebensart lernt. Auch er kennt den Dichter Matsuo Bashō (1644 - 1694), der seinerseits auf seiner Pilgerfahrt in Japans Norden die Spuren des Mönchs Saigyō (1118 - 1190) suchte. Während die beiden liebenswert komischen Gestalten im heutigen Japan Bashōs Reiseroute folgen, üben sie hin und wieder selber Zwiesprache in der Kunst des Haikus. In der Stadt Sendai macht sich Yosa indes davon. Hat er sich nun doch umgebracht? Gilbert setzt seinen Weg alleine fort. Ganz auf sich gestellt, scheint ihm zu gelingen, was er sich erhoffte: eine innere Reise.
Hinter der für die japanische Ästhetik so charakteristischen »zwanghaften Schönheit« gewahrt er etwas anderes, das sich in Worten kaum wiedergeben lässt. Dieses »Abenteuer des Geistes« ist für Marion Poschmann eine Herausforderung gewesen. Bashō hat sich wie Saigyō nach dem »Mond über Matsushima« gesehnt, danach, dass sich in der berühmten Bucht der Kieferninseln der »Weg des Geistes zum Nichts« öffnen könnte, in den »Ungrund«, wie es an anderer Stelle heißt. Aber das geht nur über die Anschauung der Kiefern. Da spürt man auch Marion Poschmanns Konzentration, Bilder zu erfassen, bevor sie sich in Gedanken formen, das Vorbegriffliche in ihren Text hineinzunehmen. Mystisch? Darin wohl hat der Roman seinen Reiz.
Marion Poschmann: Die Kieferninseln. Roman. Suhrkamp, 165 S., geb., 20 €.
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