Ameisen unterm Brennglas

Im Kino: »Pre-Crime« von Matthias Heeder, Monika Hielscher

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

Kameras sind allgegenwärtig: Überwachungskameras, die Daten sammeln, damit das Leben sicherer wird. Aber wird es das wirklich? In ihrem Dokumentarfilm »Pre-Crime« nehmen Monika Hielscher und Matthias Heeder moderne Methoden polizeilicher Präventionspolitik unter die Lupe. Sie sprechen mit Experten auf der praktischen wie der theoretischen Ebene: mit Polizisten, Datensammlern, Softwareentwicklern, in Frankreich, Deutschland, Großbritannien und den USA.

Und sie sprechen mit Betroffenen, die in Fahndungsnetze gerieten, weil sie jung sind, männlich, schwarz, weil sie in »Problemvierteln« leben, Kapuzenpullover tragen und instinktiv wegsehen, wenn ein Polizeiwagen neben ihnen Schritt fährt. Mit Widerständigen, die sich der totalen Überwachung zwecks Verbrechensverhinderung schon deshalb nicht unterwerfen mögen, weil die von Formeln abhängt und Maschinen, von Algorithmen, die menschengeschrieben sind und also fehlbar, die zu kurz greifen können (oder viel zu weit gefasst sind), die Unschärfen umfassen - und trotzdem, einmal etabliert, keiner weiteren Kontrolle unterliegen. Vom finanziellen Interesse ihrer Schreiber ganz abgesehen.

Polizisten, die vor dem Täter am Tatort sind - es sind Ideen aus Philip K. Dicks dystopischem »Minority Report«, die inzwischen in der Wirklichkeit zur Anwendung kommen. Dessen Filmadaption von Steven Spielberg machte die Ästhetik engmaschig vernetzter Computerüberwachung salonfähig. Gut sah sie aus, diese transparente Scheibe, auf der Tom Cruise mit choreografierten Wischbewegungen bläuliche Daten, Zahlen, Gitterwerke hin- und herbewegte. »Pre-Crime« nutzt die Ästhetik, die »Minority Report« (2002) und vorher schon Tony Scotts »Enemy of the State« (1998) effektvoll auf die Leinwand brachten, um die Botschaft von der totalen Überwachung fassbar zu machen. Ständig rauschen Daten, Etiketten, Pfeile über die soignierten Bilder, sind Menschen in Bewegung, während Kameraaugen ihnen auf Schritt und Tritt folgen.

Bildschirme, die in Sekundenschnelle Daten aufrufen und vernetzen. Eine Wirklichkeit, die nicht mehr dreidimensional anarchisch von allen Seiten auf einen einstürzt, sondern geordnet wird und interpretierbar: Natürlich verführt die Idee, dass man Verbrechen punktgenau vorhersehen und also auch verhindern könnte. Nur müsste man dazu alle ethischen Bedenken vergessen, die schon »Minority Report« aufwarf. Denn wer die Tat noch nicht begangen hat, ist eben ganz klar erst mal eins: unschuldig.

Dass die Wirklichkeit einer datenvernetzten Welt ohne Privatsphäre nicht warm, positiv und sicher ist, hebt die Oberflächenattraktivität der volletikettierten, durchgängig erklärten, schönen neuen Überwachungswelt schnell auf. Ebenso, dass hier die Unschuldsvermutung, die unserem Rechtssystem zugrunde liegt (schuldig ist erst der, dem eine Schuld eindeutig nachgewiesen werden konnte), ausgehebelt wird durch präventive Annahmen, die auf Wohnvierteln basieren, auf Jugendsünden und modischen Vorlieben. Vorverurteilung auf der Basis von Kapuzenpullovern ist nur eine andere Form des verpönten Ethnischen Profiling. Datenkauf und das Zusammenführen von kommerziell erhobenen Daten in Polizeidatenbanken machen die Welt nicht wirklich sicherer, sondern den Bürger nur gläserner: Menschen werden heute ebenso vermessen, gewogen, nach ihrer finanziellen, sozialen und nun auch kriminellen Prognose eingestuft wie Firmen, Länder, Staatshaushalte.

Die neuen Möglichkeiten biometrischer Erkenungs-Software und die Unbekümmertheit, mit der der Einzelne seine privaten Daten in digitale Systeme einspeist, gehen Hand in Hand. Aber schafft ein System, das auf Vorverurteilung fußt, sich seine Kriminellen nicht erst selbst? Wer einmal in einem dieser Matrix, Beware, Heat List, Stingray, Strategic Subject List oder PredPol genannten Datenbanken erfasst ist, wird das Stigma nicht mehr los.

Und je weiter das investigative Netz ausgeworfen wird, desto mehr Unbeteiligte erwischt man als Beifang mit. Unbeteiligte, nicht: Unschuldige, wohlgemerkt. Denn Unschuldige sind in diesem Kontext ja erst mal alle. Schließlich geht es nicht um die Aufklärung von Verbrechen durch Verfolgung der Täter, sondern um bloße Vorhersagen, Projektionen, Annahmen.

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