Heiterkeit mit Affen
»mensch! KLINGER« - Grafik, Skulptur, Malerei von Lutz Friedel in der Galerie Berlin
Glücklich der Wanderer, der nicht wissen will, wohin es ihn treibt. Freiheit bedeutet: In dem, was wir entscheiden, lösen wir uns - und gelangen so aber auch ins nächste Stadium der Bedrängung, wo weitere Entscheidungen nötig werden. Kunst wie Existenz: Bewegung ist Befreiung wie Befremdung. Lutz Friedel malte vor Jahren eine Gruppe Maler verschiedenster Zeiten - berühmte Maler oder deren ebenso berühmte Motive, er bat sie gleichsam zur imaginären Zusammenkunft. Picasso, Velázquez’ »Infantin«; auch Menzel ist zu sehen. Oder jene aufgewühlte Gestalt auf Edvard Munchs Bild »Der Schrei«. Dann der alte Liebermann. Rembrandt. Goya. Dix. Grundig. El Greco. Kollwitz. Beckmann. Delacroix. Fremde Welten, suchend erwandert.
Irgendwann schien dem Maler wohl, die herbeizitierten Gestalten schauten ihn derart intensiv an, dass es zum stärkeren Gespräch kommen musste. Und so malte Friedel das Gruppenbild gleichsam weiter, rief weitere historische Figuren auf, änderte Licht- und Schattenverhältnisse. Vergröberte, verfeinerte. Hielt den Stoff am Leben, wie einen Maler das Malen am Leben hält. Über einen Zeitraum von fünf Jahren entstand der Zyklus »Das nächtliche Atelier« - etwa dreißig Bilder, umrahmt von zahlreichen Studien und Skizzen.
Nicht zufällig hängt ein Gemälde dieses »Nächtlichen Ateliers« groß im Eingangsbereich der Ausstellung: »mensch! KLINGER« in der Galerie Berlin. Malerei, Grafik, Skulptur von Lutz Friedel - »eine Hommage für Max Klinger und andere«. Ob Öl, Kaltnadel, Strichätzung - der Maler webt weiter an einer Art Ahnengalerie, die in sich selber nie zur Ruhe kommt und die er nicht zur Ruhe kommen lässt, weil sie ihn unablässig aufstört.
Denn in einer Tradition stehen, das bedeutet: beim Blick auf Früheres Lust zu behalten - zur Fortsetzung eines Selbstversuchs. Die malerische Nach-Erzählung strahlt nicht Unangefochtenheit aus, sondern Demut. Und Wissen: Immer werfen die Toten unsichtbare Strickleitern über die Mauer.
Die Ausstellung erzählt Gesichter, Körper, Konstellationen, und Friedels Werk besteht darauf, nichts Ablösbares zu erzählen. Mal triumphiert die fortreißende Farbflut, manchmal der Gegenstand. Manchmal die flutende Fläche, manchmal die Kontur. Ein Kampf ist es immer. Wo etwas klar gefasst wurde, ist Mitgerissenheit doch keineswegs aus dem Bilde getrieben.
Jeder kennt diesen Hang, sich endlich einmal mitreißen zu lassen. Aber er bremst sich. Man wird schnell zu einer ewig gestauten, gehemmten Wucht. Friedels Hommage schüttelt Hemmung ab, um Ursprung aufzurufen, das, was einen Menschen trägt, und stets trägt uns ja mehr als nur Gegenwart.
Mensch, Klinger! Die Verehrung und das Duzen. Max Klinger (1857 - 1920), der Sachse im Banne Schopenhauers, dessen malerisches Werk ebenfalls eine Mischung aus Rückgriffen und Vorahnungen war. Modernität als Zeitenverbund. Gemälde und Radierzyklen - Friedel verleibt sich das nicht ein, er anverwandelt. In parallelen Techniken. Da der geliebte Ludwig van Beethoven, dort drüben der ebenso geliebte Richard Wagner. Vor allem bestechen die Ölbilder, empfunden am Weinberg in Großjena. Das Radierhäuschen Klingers. Blicke aus dem geöffneten Fenster, nach einem Gewitter. Oder der Blick durchs geschlossene Fenster - Regentropfen wie Schnee oder Sterne; durchbrochene Wahrnehmung von Welt. Addition der Jahreszeiten und Empfindungen.
Friedel malt, wie Klinger es schrieb: »Das richtige Feld« für die Malerei sei »die Natur; wie man sie empfindet und anschaut ... die Radierung dürfte mehr als Domäne die Weltanschauung geben«, und die Grafik (für die Klinger das Wort »Griffelkunst« fand) sei das »wahre Organ der Phantasie«. Im Radierzyklus »Paraphrasen über den Fund eines Handschuhs« hatte Klinger erfasst, was auch Friedel umtreibt: über die dekorativen Verschlüsselungen des Symbolismus hinaus die Konfrontation des Realen mit dem Irrealen, die Steigerung des Traums zum Albtraum.
Aus einer geöffneten Tür zu einer Kammer der Galerie blickt ein Kopf aus Holz herüber. Wenige andere stehen mitten im Raum. Die Köpfe des Holzbildhauers Friedel sind regelrecht Besatzer. Sie dringen ein. Stehen irgendwie quer. Stören die Bein- und Kopffreiheit. Sind da und schlagen gleichsam Wurzeln. Wie es die Art des Holzes bleibt, wenn man ihm nur einen Boden gibt. Grobe, kantige, schrundige Skulpturen, entstanden durch Hacken und Sägen, Feilen und Schlagen - viel aushalten muss ein Kopf, ehe er Kopf wird. Diese Köpfe bauen am Maßstab, was Gerechtigkeit sei: niemanden als niedrig zu betrachten. »Wallhall der Nichtse« heißt die Sammlung dieser Köpfe, weit gereist inzwischen.
Und immer wieder im Bild: der Maler selbst und seine Bezüge. Ein Treffen der Leipziger Schule. Oder »Painter«: Dreimal Öl, der Maler auf dem Bett, sich die Schuhe anziehend - Spannung zwischen der Ruhe und dem Rumor Arbeit; Momente im Zwischenraum der Erwartung, wo die Dinge noch unangetastet sind. Schwerelosester wie schwerster Augenblick des Tages. Dann: »Der Tod, sich im Spiegel betrachtend«. Ein Totenkopf, die schwarze Augenhöhlung - und es scheint, der Herr über alles Leben blicke sich mit gewissem Entsetzen an: Schlimm der knochennackte Schädel, in dem keine Träume mehr unterzubringen sind.
Friedel - Jahrgang 1948, Meisterschüler bei Bernhard Heisig, 1984 Übersiedlung in die Bundesrepublik, seit seit fast zwanzig Jahren ein Havelländer - sorgte vor einiger Zeit für Unruhe im Potsdamer Landtag: mit seinen Vermischungen von Selbstporträts und Gestalten der Historie, hellste Geister und dunkelste Zwielichter; Naziunholde eingeschlossen. Friedels Lebensthema: das Ich in Korrespondenz oder Konfrontation mit all seinen Möglichkeiten. In der jetzigen Ausstellung zu sehen: das heitere »Selbstporträt mit Affen - nach Annibale Carcci«. Öl auf Leinwand. Der Maler hat das Tier im Arm, blinzelt lächelnd über den Brillenrand. Wirkt geneckt und fügt sich gern. Klinger hatte eine Radierung, in der ein Pavian einen bärtigen Gelehrten umarmt, »Die Darwinsche Theorie« genannt. Das Kreaturenbündnis. Lebenskern der Schöpfung: die Solidarität der Geschöpfe.
Gemälde und Strichätzung: »Klinger am Meer«, ein Holzbretterboden. Der Maler sitzt mit Zigarre im Sessel. Der Maler schaut geradeaus. Der Sessel direkt an der Wand. Wand? Oder durchbrochene Wand? Denn diese Wand ist - das gewellte Meer. Seltsame Begegnung zwischen Sein und Schein, zwischen Natur und Kultur, zwischen innen und außen. Das bewegte Wasser spricht wohl zum Maler: Nichts kommt je an sein Ende, dem du eine feststehende Form geben willst. Der Maler, obwohl die Zigarre in der Hand, dies Instrument der Beruhigung, könnte gewiss verzweifeln. Also wird er wieder und weiter - malen.
»Lutz Friedel - Eine Hommage für Max Klinger und andere«, bis zum 21. Oktober in der Galerie Berlin, Auguststraße 19, Mitte
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