- Kommentare
- Die LINKE nach der Bundestagswahl
Was die 2. Internationale zu linker Flüchtlingspolitik sagte
Seit über 100 Jahren weiß die Linke, dass Spaltung einer Klasse nicht weiterhilft - sie muss zusammenhalten
In der LINKEN gibt es angesichts der Erfolge der AfD erneut eine Debatte über den Umgang mit Flucht und Migration. Insbesondere der Vorstoß von Oskar Lafontaine auf Facebook, die Haltung der Partei DIE LINKE in der Flüchtlingspolitik sei in Frage zu stellen, hat eine heftige Kontroverse mit zahlreichen Wortbeiträgen ausgelöst.
In seinem Beitrag konstruiert Oskar Lafontaine einen Gegensatz zwischen der Frage der sozialen Gerechtigkeit und der »Refugees Welcome«-Haltung. Er zeigt sich besorgt darüber, dass die Partei Arbeiter und Erwerbslose nicht ansprechen könne, wenn sie weiterhin an der Position offene Grenzen für Menschen in Not festhalte. In eine ähnliche Richtung hat bereits am Wahlabend Sahra Wagenknecht argumentiert – ließ jedoch offen, welche Schlussfolgerung daraus zu schließen ist.
Lafontaines Erklärung kann man hingegen entnehmen, dass seine Kritik sich nicht lediglich auf einen rhetorischen Auftritt der LINKEN bezieht, sondern die grundsätzliche Haltung der Partei in Frage stellt.
Was genau schlägt Lafontaine überhaupt vor?
Lafontaine argumentiert, nur eine Minderheit, die das notwendige Geld aufbringen könne, schaffe es hierher, während Millionen Kriegsflüchtlinge in Lagern vegetieren würden. Man helfe mehr Menschen, wenn man die Milliardeninvestitionen dafür verwenden würde, das Leben in den Lagern zu verbessern und Hunger und Krankheit in den Armutsgebieten zu bekämpfen.
Was schlägt er konkret vor? Was soll die LINKE fordern? Das muss zwischen den Zeilen gesucht werden. Muss das Geld für die hier bereits angekommenen Flüchtlinge vollständig gestrichen werden, um es in die Lager umzuleiten? Das lässt er offen.
Zudem entsteht der Eindruck, als ob lediglich die Eliten es hierher als Geflüchtete nach Deutschland und Europa schaffen. Doch wird die Debatte um scheinbare Kapazitätsgrenzen wegen der Eliten geführt? Wohl kaum! Für den Großteil der Eliten und wirklich wohlhabenden Menschen herrscht ohnehin grenzenlose Freizügigkeit. Sie brauchen dafür weder das Asylrecht noch den subsidiären Schutz bemühen.
Wo er Recht hat
Lediglich an einer Stelle kann man Oskar Lafontaines Text bedenkenlos zustimmen: Er prangert die Zusammenarbeit mit Diktaturen in der Welt und die Rüstungsexporte an. In der Tat, ist es die Heuchelei der Herrschenden, sich besonders humanitär darzustellen, während auch die Politik der europäischen Union und Deutschlands entscheidend mit dazu beiträgt, dass Menschen überhaupt gezwungen sind, ihre Heimatländer zu verlassen.
Anders als die anderen Parteien im deutschen Bundestag unterstreichen Politiker der LINKEN immer wieder, dass es auch deutsche Kriegsbeteiligungen und die deutsche Außen- und Wirtschaftspolitik – sowie Exportüberschüsse, Waffenexporte, Umweltzerstörung und Klimawandel – dazu führen, dass Menschen auf der Flucht und auf der Suche nach Perspektiven sind. Diese Haltung ist aber sowohl im Wahlprogramm als auch im Grundsatzprogramm der Partei verankert und muss nicht erst von Lafontaine stark gemacht werden.
Das politische Klima verändern
Gerade mit Blick auf die Wahlergebnisse der AfD sind Lafontaines Äußerungen brandgefährlich. Die gesellschaftliche Stimmung ist polarisiert durch rassistische Parolen und Hetze, die von der »Bild«-Zeitung, Thilo Sarrazin, Boris Palmer, Horst Seehofer und Co. über Jahre geschürt wurden und nun von der AfD für ihre Zwecke genutzt wird.
Nicht »die verfehlte Flüchtlingspolitik« war das Problem der LINKEN im Wahlkampf, sondern unsägliche Debatten über Flüchtlinge, Kapazitätsgrenzen und Integrationsgrenzen, die das politische Klima zugunsten der AfD wenden. Dieses Klima wieder zu verändern, ist nun die Herausforderung. In der Tat empfinden viele Menschen auch aus prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen eine zugespitzte Konkurrenzsituation. Es geht um Arbeitsplätze, Wohnungen und auch um Wohlstandswahrung.
Es ist genug für alle da
Doch dass diese zugespitzte Situation vorrangig oder gar ausschließlich aufgrund der Zuwanderung entsteht, basiert auf der Meinung der Herrschenden. Es ist die geschaffene Konkurrenz im (Niedrig-)Lohnbereich und auf dem preisgünstigen Wohnungsmarkt, die überhaupt den Nährboden dafür legt, dass Nöte und Ängste entstehen. Es sind die rassistischen Erklärungsmuster, die daraus eine Konkurrenz zwischen den von Nöten und Ängsten verschiedener betroffener Bevölkerungsgruppen machen. Grundlage dieser Sichtweise ist die Unterstellung, dass die Ressourcen knapp und nicht für jeden ausreichend seien.
Dabei wird täglich ausreichend Reichtum für eine viel größere Zahl an Menschen geschaffen, als derzeit versorgt werden müssen. Allein das Privatvermögen der reichsten zehn Prozent in Deutschland übersteigt den Bundeshaushalt um etwa das Zwanzigfache. Die Verhältnisse können geändert werden, nicht in dem man die Meinung der Herrschenden aufgreift, sondern in dem man sie angreift.
Was die 2. Internationale dazu sagte
Wirklich neu sind diese Debatten übrigens nicht: Die Diskussion um Migration wird schon seit langem von linken Kräften geführt. 1907 wurde von der 2. Internationalen die volle rechtliche Gleichstellung der Ausländer statt der Ausweisung gefordert: »Fort mit dem Damoklesschwert der Ausweisung! Das ist die erste Voraussetzung dafür, dass die Ausländer aufhören, die prädestinierten Lohndrücker und Streikbrecher zu sein«, fasste Karl Liebknecht die Position zusammen. Für Liebknecht ist es also gerade das gesonderte Ausländerrecht und die Abschiebepolitik, die zu einer Spaltung beiträgt und verhindert, dass sich Menschen gemeinsam für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen einsetzen können und somit auch bewusst eine gemeinsame Klasse bilden können.
Weder die Geflüchteten, noch angeblich knappe Ressourcen sind aktuell das Problem. Es ist die Profitgier und damit einhergehend imperiale Bestrebungen, die Menschen in Armut und Elend treiben. Das alles wirkt sich weltweit auf die Arbeiter*innklasse aus. Und eine Klasse, die zusammengehört, muss auch zusammenhalten. Andernfalls ist diese Klasse zu einer Niederlage verdammt.
Özlem Alev Demirel ist Landessprecherin LINKEN in Nordrhein-Westfalen.
Lesen Sie zu dieser Debatte auch:
>> Wenn Flüchtlingspolitik soziale Gerechtigkeit außer Kraft setzt von Oskar Lafontaine
>> Links ist an der Seite der Schwachen von Gregor Gysi
>> Wider die Normalisierung! von Christine Buchholz
>> Praktische Solidarität organisieren von Janine Wissler und Axel Gerntke
>> Gegen die Haltung ‘Deutsche zuerst’ von Bernd Riexinger
>> Rein ins Offene, raus Richtung Zukunft von Alexander Fischer
>> Links für ein städtisches progressives Milieu von Jakob Migenda
>> »Lafontaine und Wagenknecht liegen falsch« von Juliane Nagel
>> »Mehr als blinder Protest« von Felix Pithan
>> »Lafontaine hat das Recht auf Asyl nicht in Frage gestellt« von Astrid Schramm
>> »Der Rassismus im lafonknechtschen Wagentainment« von Stephan Lessenich
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.