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Ob die Mehrheit wirklich steht

Ministerpräsident Woidke soll wegen Kreisreform mit Rücktritt und Neuwahl gedroht haben

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenige Wochen vor der entscheidenden Abstimmung im Landtag wird es eng für die geplante Kreisgebietsreform. Bei einer Probeabstimmung der SPD-Fraktion sollen drei Abgeordnete dem umstrittenen Vorhaben die Gefolgschaft verweigert haben. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) soll deswegen jetzt bei einer Klausurtagung in Neuhardenberg mit Rücktritt und Neuwahlen gedroht haben. Das berichtete die »Märkische Oderzeitung« unter Berufung auf Teilnehmer der Tagung.

»Die SPD schafft es augenscheinlich nicht einmal mehr, ihre eigenen Leute mit Argumenten zu überzeugen«, höhnte CDU-Fraktionschef Ingo Senftleben.

Regierungssprecher Florian Engels dementierte umgehend. Der Ministerpräsident habe lediglich verschiedene mögliche Konsequenzen für den Fall erläutert, dass die rot-rote Koalition bei dieser Reform im Landtag keine eigene Mehrheit zuwege bringen sollte.

Unabhängig davon, ob Woidke seinen Rücktritt »als kalkulierte Drohung in den Raum gestellt hat oder seine Worte nur der Schilderung möglicher Konsequenzen einer Ablehnung der vorliegenden Gesetzentwürfe zur Funktionalreform und zur Kreisgebietsreform dienten, droht die Verwaltungsstrukturreform nun endgültig zum Desaster für die Landespolitik zu werden«, reagierte Grünen-Fraktionschef Axel Vogel. Neuwahlen lehnte er ab.

»Die Mehrheit steht«, behauptete SPD-Fraktionschef Mike Bischoff am Freitag. »Aus der SPD-Fraktion gibt es keine Gegenstimme zur Kreisreform.« Bloß eine Enthaltung sei angekündigt. Das soll am Ende der Debatte herausgekommen sein. Die Abgeordnete Kerstin Kircheis stützte diese Darstellung. Bei der Probeabstimmung habe es nach drei Enthaltungen ausgesehen. Nach der Diskussion habe aber sie allein an ihrer Enthaltung festgehalten.

Die »Märkische Oderzeitung« hatte als Abweichler Kerstin Kircheis, Britta Müller und Wolfgang Roick genannt, dazu von der Linksfraktion René Wilke. Die rot-rote Koalition hat im Parlament nur drei Stimmen über den Durst. Hinter vorgehaltener Hand und teils über zwei Ecken gibt es weitere Hinweise, was in Neuhardenberg abgelaufen ist - und was sich fast zeitgleich bei einer Klausur der Linksfraktion in Vetschau ereignete. In Vetschau hatten sich die Sozialisten ebenfalls mit der Kreisreform befasst, allerdings keine Probeabstimmung durchgeführt. Das soll, wenn überhaupt, erst am Dienstag in Potsdam geschehen. Auf jeden Fall möchte die LINKE später speziell zum Thema Kommunalreformen noch einmal für einen Tag in Klausur gehen.

Wegen der Funktionalreform, deren Ziel die Übertragung einiger Aufgaben etwa der Fortverwaltung vom Land auf die Kommunen ist, sollen in der Linksfraktion mehrere Abgeordnete Bedenken haben. Bei der Kreisgebietsreform soll René Wilke der einzige Wackelkandidat der Linksfraktion sein.

Zu einem Rücktritt des Ministerpräsidenten und zu Neuwahlen würde es vermutlich nur kommen, wenn die Reform ankündigungslos durch Gegenstimmen oder Enthaltungen aus den Reihen der Koalitionsfraktionen zu Fall gebracht wird. Wird aber intern rechtzeitig informiert, so könnte die Reform abgeblasen oder zumindest die Abstimmung verschoben werden. Woidke müsste dann keineswegs seinen Hut nehmen. Zwar zählt die Kreisreform zweifellos zu seinen wichtigsten Projekten, und ein Scheitern wäre eine schwere Niederlage. Rot-Rot steht und fällt aber nicht damit, heißt es. Sogar CDU-Fraktionschef Senftleben bescheinigt: »Ein Reformstopp nach all der Kritik wäre kein Zeichen von Schwäche, sondern von Größe.«

Im Landtag sitzen 88 Abgeordnete. Die SPD verfügt über 30 Mandate, die LINKE über 17. Liefert die SPD die von Fraktionschef Bischoff zugesagten 29 Ja-Stimmen und die LINKE 16, so genügt dies. Doch selbst wenn drei SPD-Abgeordnete, wie es kolportiert wurde, der Abstimmung absichtlich fernbleiben, indem sie an dem bewussten Tag im November gar nicht nach Potsdam reisen oder den Plenarsaal im entscheidenden Moment verlassen, was wie eine Enthaltung wäre, so müsste die Reform deswegen nicht zwangsläufig durchfallen. Selbst wenn René Wilke dann gegen den Gesetzentwurf zur Kreisneugliederung stimmt, würden die verbliebenen 43 Stimmen der Koalition gerade noch ausreichen. Andererseits ist nicht einmal hundertprozentig klar, ob Wilke wirklich eine Gegenstimme abgibt. Dem vorliegenden Gesetzentwurf könne er nicht zustimmen, hat er deutlich gemacht. Änderungen, die ihn zufriedenstellen, sind nicht zu erwarten, aber theoretisch denkbar. So könnte sich Wilke eine Zustimmung unter Umständen vorstellen, wenn ihm nachvollziehbar nachgewiesen wird, dass Frankfurt (Oder) durch die Reform tatsächlich ein jährliches Haushaltsplus von 15 Millionen Euro haben würde, wie ihm Finanzminister Christian Görke (LINKE) vorrechnete, und nicht zwei Millionen im Minus sein würde, wie die Stadtverwaltung abschätzt. Zudem müsste für Wilke geklärt sein, dass Frankfurt (Oder) bei einem Zusammenschluss mit dem Kreis Oder-Spree die Kreisstadt wird und nicht etwa Beeskow.

Die sechs Grünen im Landtag wollen eigentlich nicht die Mehrheitsbeschaffer sein. Da sie jedoch im Prinzip eine Kreisgebietsreform für nötig halten, wären Enthaltungen denkbar. Das würde Rot-Rot etwas Luft verschaffen. Das Abstimmungsverhalten der Grünen werde »eine sehr schwierige Gesamtabwägung«, kündigte Fraktionsgeschäftsführerin Ursula Nonnemacher an. Seite 13

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