Brexit in der Sackgasse
Auch die fünfte Verhandlungsrunde zwischen London und Brüssel blieb ohne Ergebnisse
EU-Unterhändler Michel Barnier redete am Donnerstag Klartext. Über die von Britannien zu zahlende Scheidungsrechnung sei kein Übereinkommen erzielt worden. Wegen dieses störenden Verhandlungsstillstands werde er den EU-Regierungschefs auf dem Gipfel nächste Woche empfehlen, weitergehende Gespräche über die künftigen Beziehungen aufzuschieben. Mit gutem politischen Willen sei jedoch entscheidender Fortschritt bis zum folgenden Dezember-Gipfel möglich. Ein akzeptabler Kompromiss rückt allerdings in immer weitere Ferne.
Britische Brexit-Anhänger reagierten mit der Standardausrede: BSE. Diese hat nicht nur mit verrückten Kühen zu tun, sondern bedeutet abgekürzt »Blame Someone Else«, Schuld sind die anderen. Der ehemalige Tory-Arbeitsminister Iain Duncan Smith hält Deutsche und Spanier für die Hauptschuldigen. In Berlin gebe es noch keine Regierungskoalition, auf der iberischen Halbinsel herrsche wegen Katalonien blankes Chaos.
Andere konservative Hinterbänkler wie Jacob Rees-Mogg freuen sich auf einen erfrischenden Sprung ins Dunkle für die britische Wirtschaft. Dass die Freunde in Washington gegen den kanadischen Flugzeugbauer Bombardier auf Geheiß von Boeing einen 219-prozentigen Zolltarif verhängt haben und damit 4200 Arbeitsplätze in Belfast gefährden, kümmert diese Zyniker nicht - sie setzen auf Trump. Der britische Außenhandel mit EU-Mitglied Irland allein ist größer als mit Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika zusammen; neue Partner sind leichter gesucht als gefunden. Aber was bedeuten den Brexitern unangenehme Tatsachen: Auf ins Land, wo Milch und Honig fließen!
Bei alldem schwankt Premierministerin Theresa May wie ein Schilfrohr bei Windstärke zehn. Mal tadelt sie ihren brexitfreundlichen, nassforschen Außenminister Boris Johnson, mal kanzelt sie den immer besorgter wirkenden Finanzminister Philip Hammond ab. In einem Radio-Interview am Dienstag verweigerte May sogar jede Antwort auf die Frage, wie sie bei einer neuen Volksabstimmung wählen würde, und ließ davon ab, den eigenen Regierungskurs zu verteidigen.
Labour-Sprecher Keir Starmer hingegen verlangt, dass der britische Brexit-Unterhändler David Davis seinen Gegenspieler Barnier um weitere Verhandlungen Anfang nächster Woche und gegebenenfalls bis zum Vorabend des EU-Gipfels bitten sollte. Die konservative Taktik, an die Regierungschefs über Barniers Kopf hinweg zu appellieren, sei zum Scheitern verurteilt.
Endlich einer, der weiß, dass die Zeit gegen sein Land arbeitet. Aber Labour bleibt in der Opposition. Die Verhandlungen kommen also nicht vom Fleck, weil Theresa Mays Regierung ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat - für Brexiter ein Wunschergebnis, für Britannien eine Katastrophe. Deshalb muss man sich bei den Geldgesprächen zumindest über den Kalkulationsmodus einigen. Und bei der Frage, wie man die irische Grenze offenhalten und gleichzeitig die Migration aus der Rest-EU verhindern könnte, sollte die Premierministerin dringend ihren Außenminister Boris Johnson nach Dublin schicken - und ihn nicht wieder zurücklassen, bis er die Grenzfrage zur gegenseitigen Zufriedenheit wirklich gelöst hat.
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