Im Angesicht des Terrors

Debatte über Stuttgarter RAF-»Tatort«

  • Lesedauer: 3 Min.

Der Stuttgarter RAF-»Tatort« ist trotz Kritik an der Darstellung der Todesnacht von Stammheim auf großes Interesse gestoßen. Den Fall »Der rote Schatten« sahen am Sonntagabend ab 20.15 Uhr im Ersten 9,27 Millionen Menschen. Der Marktanteil betrug 27,2 Prozent. Die Ermittler Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) müssen darin den Mord an einer Frau klären, die tot in der Badewanne aufgefunden wurde. Die Spuren führen die Kommissare in die Zeit des Deutschen Herbstes und des RAF-Terrors zurück. Regisseur Dominik Graf (»Im Angesicht des Verbrechens«, »Es werde Stadt!«) hatte in den Kriminalfilm historische TV-Dokumente eingebaut.

Der Journalist Stefan Aust und Buchautor (»Der Baader-Meinhof-Komplex«) kritisierte die Darstellung der Todesnacht von Stammheim jedoch als RAF-Propaganda. Im »Tatort« von Regisseur Dominik Graf war die Frage offengeblieben, ob die Terroristen der »Roten Armee Fraktion« (RAF) sich 1977 im Gefängnis das Leben nahmen - oder doch ermordet wurden. Am 18. Oktober 1977 hatten die RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe im Gefängnis Stuttgart-Stammheim Suizid begangen. Zuvor hatte die RAF Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer entführt, um deren Freilassung zu erwirken.

»Es gibt keine ernstzunehmenden Zweifel daran, dass es Selbstmord war«, sagte Aust der »Bild«-Zeitung. Im »Tatort« wurde der Tod der RAF-Terroristen in zwei Versionen inszeniert, auch als Mord durch eine geheime Truppe. »Das wird bei den Zuschauern hängen bleiben«, kritisierte Aust. »Ich halte das für sehr problematisch. Das ist RAF-Propaganda.« Das Boulevardblatt kritisierte zudem die Haltung des TV-Ermittlers Lannert. Der erzählt in einer Szene seinem Kollegen Bootz, dass er als Student selbst in einer WG mit RAF-Sympathisanten gelebt habe. Er sei jedoch keiner »von denen gewesen« - aber man sei jung gewesen und wollte die Welt verändern. »Bild« wirft der ARD deshalb Verharmlosung des Linksterrorismus vor. Der Südwestrundfunk (SWR) wies das zurück. »Dieser ›Tatort‹ ist nicht pro RAF«, betonte Manfred Hattendorf, kommissarischer SWR-Filmchef, am Montag. »In der Form spannender Krimiunterhaltung bezieht der Tatort Position, ohne sich für eine Deutungsvariante zu entscheiden.«

Bei den Zuschauern kam der Fall zumeist gut an. »Einer der wenigen neuen ›Tatorte‹, die ich mit Spannung verfolgt habe«, schrieb eine Nutzerin bei Facebook. Eine andere kommentierte: »Sehr spannend, super gemacht mit den Rückblenden!«

Nicht alles im »Tatort« ist Aust zufolge völlig aus der Luft gegriffen - etwa die Darstellung, dass die Terroristen in der Zelle abgehört wurden. »Es gibt eine Reihe neuer Beweise dafür, dass die Gegangenen Baader, Ensslin, Raspe und Möller während der Schleyer-Entführung tatsächlich abgehört wurden.«

Regisseur Dominik Graf (65) wirft dem Staat mangelnde Aufarbeitung der RAF-Zeit vor. »Das Thema wurde überwiegend einseitig aufgearbeitet«, sagte er im Interview der Deutschen Presse-Agentur. »Viel zu viel Schlamperei und Vertuschung der staatlichen Behörden wurde und wird bei uns nach wie vor unter den Teppich gekehrt.« dpa/nd

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