Ein wackliger Kompromiss

Die Debatte um das Mahnmal für die verfolgten Homosexuellen

Die Wogen scheinen geglättet. Nach heftigen Debatten in der Berliner queeren Szene Ende 2006 und zu Beginn diesen Jahres ist es derzeit wieder still um das geplante Mahnmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen, das im Berliner Tiergarten gebaut werden soll.
Als »sehr gut« gilt dem Schwulen- und Lesbenverband (LSVD) der inzwischen gefundene Kompromiss. Die Schauspielerin Maren Kroymann hatte bei einer Podiumsdiskussion die Idee geäußert, dass man den von der Jury prä-mierten Entwurf des skandinavischen Künstlerduos Michael Elmgreen und Ingar Dragset ergänzen könnte. Deren Schöpfung hatte die feministische Zeitschrift »Emma« im Spätsommer 2006 zu skandalisieren versucht. In dem Entwurf - ein abgeschrägter Kubus, ästhetisch an das unweit gelegene Stelenfeld für die ermordeten Juden Europas angelehnt - könnten sich Lesben kaum wiederfinden, kritisierten Alice Schwarzer und Co.
In dem Kubus sollte ein Guckloch - »Emma« sah darin eine Referenz an die Klappen, öffentliche Toiletten, die der schwulen Szene einst als Orte für schnellen Sex galten - den Blick auf ein sich küssendes Männerpaar freigeben. Ein »Mahnmal nur für Männer?«, empörte sich die Zeitschrift und startete eine Unterschriftenkampagne, mit der sie den Entwurf in letzter Minute zu kippen hoffte. Der verstoße gegen die im Jahr 2003 vom Bundestag formulierten Aufgabenstellungen für das Mahnmal und erfülle insbesondere den letzten der drei dort formulierten Punkte nicht: Die Erinnerung an das Unrecht wach zu halten, die verfolgten und ermordeten Opfer zu ehren und ein sichtbares Zeichen gegen Intoleranz, Feindseligkeit und Ausgrenzung gegenüber Schwulen und Lesben zu setzen.
Maren Kroymanns Idee sollte sich durchsetzen. Warum nur ein Kuss? Warum nicht abwechselnd verschiedene küssende Paare zeigen, hatte sie laut überlegt. Die beiden Künstler, wer mag es ihnen verdenken, sträubten sich erst, signalisierten jedoch im Dezember 2006 Einverständnis, nach zwei Jahren von ihrem Entwurf zurückzutreten. Dann soll die Projektionsfläche für Beiträge anderer Künstler freistehen. Als »Erfolg« feierten LSVD und auch die »taz«, die die Debatten journalistisch begleitet hatte, die Einigung. Doch unter der Oberfläche brodeln die Auseinandersetzungen weiter, der »sehr gute Kompromiss« ist bei Nahem besehen ein wackliger. Er wirkt wie ein später Versuch, zu retten, was an dem Siegerentwurf zu retten war.

Keine reichsweite Verfolgung
Bereits im Oktober 2006 verabschiedete die Berlin-Brandenburgische Sektion des LSVD gegen die »Emma«-Aktion eine Resolution »Den preisgekrönten Entwurf verwirklichen«. Die fast ausschließlich männlichen Unterzeichner forderten die Lesben darin auf, den Entwurf mit zu unterstützen. Ein erweiterter Entwurf wecke falsche Interpretationen der Fakten. »Eine reichsweit organisierte Lesbenverfolgung hat es nicht gegeben«, machte etwa Mitunterzeichner Joachim Müller, der einst zu den Initiatoren des Mahnmalsprojektes gehört hatte, die Grenzen deutlich.
Dies stellen jene, die sich für ein erweitertes Mahnmal aussprechen, auch kaum in Frage. Tatsächlich fragt man sich, ob das Problem nicht hätte umgangen werden können, wenn die Jury einen »geschlechtsneutraleren« Entwurf gewählt hätte. Beispiele solcher Mahnmale gibt es im westlichen Europa seit den 80er Jahren, auch in Deutschland, selbst in Berlin schon. Dort erinnert am U-Bahnhof Nollendorfplatz eine Gedenktafel an die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus. In Frankfurt (Main) wird ihnen mit einem - geschlechtsneutralen - Engel gedacht, in Amsterdam mit dem winkelförmigen »Homomonument«.
Den 10 000 bis 15 000 im Nationalsozialismus in den KZs ermordeten und etwa 50 000 nach Paragraph 175 verurteilten Schwulen steht ohne Frage ein ganz anderes Leid der Lesben gegenüber. Doch warum die verhärtete Diskussion darüber, ob nur der Darstellung verdient, wer »mehr gelitten« hat? Das Mahnmal danach auszurichten, hieße, jene Ideologie zu ignorieren, nach der die Nazis versuchten auszumerzen, was dem »gesunden, deutschen Volkskörper« nicht entsprach. Doch gilt es nicht genau vor jener Ideologie zu mahnen, die dem Morden den Boden bereitete? Und nach der eben auch das Lesbisch-Sein zu, wenn auch in ihrem Ausmaß geringerer, Diskriminierung und Verfolgung führte?

Auch lesbische KZ-Insassinnen gab es
Den Nationalsozialisten galt auch dieses Begehren als verabscheuungswürdig, jedoch sah man die lesbische »Gefahr« aufgrund der prekären Rolle der Frau im öffentlichen Leben des »Dritten Reiches« als geringer an. Dies mag einer der Gründe gewesen sein, warum der Paragraph 175 nicht auch auf Lesben ausgedehnt wurde.
Die Lesbenforscherinnen Ilse Kokula und Claudia Schoppmann wissen andererseits mittlerweile auch von lesbischen KZ-Insassinnen. Zumeist jedoch seien diese nicht »als Lesben«, sondern unter Vorwand eingeliefert worden, erklärt Ilse Kokula. Beispielsweise waren sie als »Asoziale« mit dem schwarzen Winkel gekennzeichnet. Katalogisiert wurde ihre Orientierung dagegen sehr wohl: Claudia Schoppmann fand Einträge darüber in den Akten lesbischer KZ-Insassinnen. Einblick in solche Schicksale gibt etwa ein Artikel in der Januarausgabe der »Emma«. Da ist unter anderem die Rede von Lotte Hahm, ehemals Chefredakteurin der »Freundin«, mit 10 000 Exemplaren zu Blütezeiten der Weimarer Republik auflagenstärkste Zeitschrift für Lesben. Sie sei, so erzählte sie später Mitgefangenen im KZ Moringen, auf dem Berliner Alexanderplatz von einem Unbekannten angesprochen worden, auf einen Koffer aufzupassen. Der Koffer enthielt kommunistisches Material, Hahm wurde verhaftet. Oder von der 16-jährigen Gertie, die nach Ausbruch des Krieges in einer Rüstungsfabrik zur Arbeit eingesetzt war und für eine von ihr verehrte Arbeitskollegin einen Ring aus Metall drehte. Unter der Begründung »Sabotage« kam sie dafür mit dem Schwarzen Winkel in das KZ Oranienburg.
Für Ilse Kokula gehören die Lesben, neben den Prostituierten, zur »letzten vergessenen Opfergruppe«, lange Zeit habe es kaum Gelder zur Erforschung ihrer Schicksale gegeben. Vieles wird nie mehr ans Licht kommen: Die meisten Frauen, die ihre Erlebnisse an die Nachwelt hätten weitergeben können, sind längst verstorben. In dieser Lücke - der Unsichtbarkeit der eigenen Geschichte - liegt ein Teil des lesbischen Dilemmas mit dem Mahnmal: In der Weimarer Republik hatte sich zum ersten Mal eine florierende Subkultur herausgebildet, die diesem »anderen« Begehren ein Gesicht gab, die Herausbildung einer gemeinsamen Identität erst ermöglichte. Den Nationalsozialisten gelang es, diese Strukturen nachhaltig zu zerschlagen, bis heute hat sich die Szene nicht wieder in dem Ausmaß revitalisiert, wie es sie einmal gab.
Noch immer stehen die Lesben vor der Herausforderung, wieder eine gemeinsame Identität zu entwickeln. Dazu gehört auch die Aneignung »ihrer« Geschichte, der Bezug auf »ihre« Opfer. Sie aus dem Mahnmal zu »schreiben«, würde den Prozess des Unsichtbarmachens dagegen wiederholen.
Jan Feddersen, Sprecher der Initiative Queer Nations, die sich in Berlin für eine Wiedererrichtung des Magnus-Hirschfeld-Instituts engagiert, sieht es so: Die eigentliche Tragödie habe Ende Januar 1933 begonnen, als die Nationalsozialisten die Macht übernahmen und schließlich das Institut des jüdischen Sexualforschers verwüsteten, um die Vielfalt queeren Lebens auszulöschen. Was ihnen schließlich »ja auch gelungen ist«. Was er von dem Kompromiss halte? Wenn dieser sich durchsetzt, müsse man »sich damit abfinden«. Schrecklich sei das Mahnmal ja schließlich nicht.
Der Kompromiss hat offenbar nicht die Kraft, die Widersprüche der unterschiedlichen Interessensgruppen zu integrieren. Claudia Schoppmann kritisierte zudem, dass die sichtbare Integration der Lesben nach zwei Jahren »zu spät« einsetze. Ganz abgesehen von praktischen Fragen: Die Bundestagsabgeordnete Mechthild Rawert (SPD) befand bei einer der Podiumsdiskussionen, dass das für die regelmäßige Erneuerung der Filme notwendige Geld wohl kaum aus dem Bundeshaushalt aufzutreiben sei. So sieht es auch Ilse Kokula. In zwei Jahren werde die jetzige Debatte längst vergessen sein. Wer würde sich dann noch realistisch »nur« für einen neuen Film einsetzen? Ihrer Meinung nach muss deshalb jetzt ein Kompromiss mit der Filmschleife gefunden werden, einer, der vielleicht abwechselnd Küsse zwischen verschiedenen Paaren zeigt, »auch mal androgyn oder ein Kuss zwischen älteren Lesben oder Schwulen«.
Trotzdem soll es, so sieht es zumindest aus, bald mit dem Bau des Mahnmals losgehen. Die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung könnte nach Ostern damit beginnen. Staatskulturminister Bernd Neumann (CDU) hat grünes Licht für die Finanzierung eines erweiterten Entwurfs signalisiert, wenn sich die beteiligten Initiativen einigen. Wie genau die Extraposten finanziert werden sollen und wie es mit den Filmen...

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