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Falsche Moschee an der Havelbucht

Potsdams Dampfmaschinenhaus wurde als Wahrzeichen der Ingenieurkunst ausgezeichnet

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 3 Min.

Regelmäßig sorgt das historische Gebäude an der Neustädter Havelbucht unter Potsdam-Besuchern für Irritatio᠆nen. Ist es mit seiner Kuppel und dem Minarett, der gestreiften Fassade und den orientalischen Schmuckelementen etwa keine Moschee?

Für Heinz Berg von der zuständigen Generalverwaltung der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (SPSG) ist die »Moschee« eines der reizvollsten Bauwerke Potsdams, zugleich aber »imposantes Zeugnis der Technikgeschichte«. Denn im Kern ist es nichts weiter als eine alte Pumpstation, die seit ihrer Inbetriebnahme 1842 nahezu ununterbrochen Havelwasser quer durch die Stadt zum 1,8 Kilometer entfernten Reservoir auf dem heutigen Ruinenberg befördert.

»Dampfmaschinenhaus« steht auf dem Hinweisschild neben dem Eingang, und als solches weist auch die am Donnerstag enthüllte Schautafel das so ungewöhnliche Bauwerk aus. Mit ihr ehrt die Bundesingenieurkammer gemeinsam mit der Ingenieurkammer Brandenburg und der Schlösserstiftung dieses Bau- und Technikdenkmal als ein »Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland«. Und dies ungeachtet der Tatsache, dass das Gebäude heutzutage gleich in doppelter Hinsicht einen Etikettenschwindel verkörpert: Es ist eben kein Gotteshaus, und seine Funktion haben längst zeitgemäße, elektrisch betriebene Kreiselpumpen übernommen. Zwar ist die eigentliche Dampfmaschine aus dem Hause Borsig, im Baujahr 1842 die größte und mit 81,4 PS Leistung wohl auch stärkste in Preußen, noch im Original erhalten und in all ihrer gusseisernen Pracht zu bewundern. 1895 wurde sie, nach jahrzehntelangem Dauerbetrieb, stillgelegt und durch modernere Aggregate abgelöst. In Bewegung versetzt sie zu Anschauungszwecken jetzt ein im Verborgenen werkelnder 30-KW-Elektromotor. Der Dampfbetrieb ist 1937 eingestellt worden.

Im Prinzip hat der preußische Architekt Ludwig Persius (1803-1845) für die von August Borsig (1804-1854) eigens zum Betrieb der Pumpen entwickelte Dampfmaschine eine passende bauliche Hülle geschaffen. Mit ihrer an eine maurische Moschee erinnernden Architektur traf Persius den Geschmack seiner Zeit und vor allem den seines Auftragsgebers König Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861).

Laut Brandenburgs Ingenieurkammerpräsident Matthias Krebs stellte die Wasserversorgung der Fontänen in den königlichen Gärten über so eine lange Druckleitung im 19. Jahrhundert eine große ingenieurtechnische Leistung dar. »Hierzu wurde sich einer von einem Ingenieur erfundenen Pumpe bedient, deren neuartige Technik Einzug in ein architektonisch extravagantes bis heute bedeutendes Gebäude in Potsdam Einzug hielt. Das ganze Vorhaben war zu seiner Zeit eine technische Sensation.«

Beinahe 100 Jahre hatte es zuvor gedauert, das technische Problem zu lösen, das einem Wunsch Friedrichs II. (1712-1786) entsprungen war. Der Preußenkönig hatte befohlen, für das 1748 fertiggestellte Schloss Sanssouci und den Park Wasserspiele mitsamt einer 100 Meter hohen Fontäne anzulegen. Doch er war zu knauserig und es fehlte technisches Wissen, so dass seine Baumeister an der Aufgabe scheiterten.

Das gelang erst dem Technikpionier Borsig, der seine gewaltige Dampfmaschine nur zwei Tage nach Fertigstellung der tragenden Mauern am 23. Oktober 1842 zum ersten Mal in Gang setzte. Die von ihr betriebenen Pumpen ließen die Fontäne vor dem Schloss Sanssouci erstmals auf »erstaunliche 38 Meter Höhe steigen«, wie es damals hieß.

Nach Einschätzung von SPSG-Direktor Berg zeuge das Dampfmaschinenhaus noch heute von der »kreativen Vielfalt in der Leistungspalette der Ingenieure«. Die Verleihung des Titels »Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland« war denn auch verbunden mit dem Appell, die große Ingenieurtradition hierzulande zu wahren und weiterzuentwickeln. Der Bedarf an Ingenieuren wachse in allen Bereichen der Wirtschaft, betonte dabei Hans-Ullrich Kammeyer, Präsident der Bundesingenieurkammer. »Wir brauchen nicht nur mehr Ingenieure, sondern vor allem mehr gute Ingenieure.«

Die »Moschee« zählt zu Potsdams meistfotografierten Motiven. Eine Aufmerksamkeit, von der das Technikdenkmal »Dampfmaschinenhaus« kaum profitiert. Die Sonntagsführungen wurden vor zwei Jahren eingestellt - zu teuer, zu wenig Interesse. Nur zu besonderen Gelegenheiten lüftet es noch seine Geheimnisse.

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