Spanischer »Putsch« in Katalonien

Großdemonstration in Barcelona / Nervöse Stimmung nach Absetzung der Regionalregierung

  • Ralf Streck, Barcelona
  • Lesedauer: 3 Min.

Nachdem der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont am Samstagnachmittag an einer Großdemonstration für die Freiheit politischer Gefangener teilgenommen hatte, zog diese zum Regierungssitz. Im Zentrum Barcelonas, auf dem Sant Jaume, warteten Demonstranten auf eine angekündigte Rede von Puigdemont, in der er auf die Drohungen der spanischen Regierung antworten wollte. Die Parlamentspräsidentin Carme Forcadell hatte zuvor von einem »faktischen Putsch« gesprochen. Als »Staatsstreich« bezeichnete den Vorgang auch die linke Bürgermeisterin Barcelonas, Ada Colau, die selbst nicht für die Unabhängigkeit Kataloniens eintritt.

Die Stimmung war nervös und gespannt. Viele fragten sich, ob Puigdemont als Reaktion auf Rajoy Maßnahmen in Richtung Unabhängigkeit in Kraft setzen würde? Rajoy hatte angekündigt, über den Artikel 155 die Autonomie Kataloniens faktisch aussetzen und die katalanische Regierung entmachtet zu wollen. Um 21 Uhr herrschte Ruhe auf dem Platz, als Puigdemont im »Palau de la Generalitat« zu seiner TV-Ansprache ansetzte. Menschen standen in Gruppen zusammen, schauten auf Handys und verfolgten die Rede über das Internet. »Freiheit, Freiheit«, wurde skandiert und »Unabhängigkeit«, nachdem die Rede beendet war.

Der erstmals zum Einsatz kommende Artikel 155 sei der »schwerste Angriff auf katalanische Institutionen«, seit der Diktator Franco die katalanische Regierung abgesetzt hatte. Es sei der »direkte Versuch, die autonome Regierung und den demokratischen Willen der Katalanen zu liquidieren«; per Fernsteuerung solle künftig aus Madrid regiert werden, so Puigdemont.

Am Samstagmittag hatte Rajoy in Madrid erklärt, dass nicht nur Puigdemont abgesetzt werden solle, sondern alle Minister seines Kabinetts. Ihre Häuser sollen der spanischen Regierung unterstellt werden. Das Parlament soll zwar nicht aufgelöst werden, hat praktisch aber nichts mehr zu sagen. Puigdemont soll nicht mehr kandidieren dürfen, obwohl kein Gericht ihm ein Amtsverbot erteilt hat. Polizei und die öffentlich-rechtlichen Medien sollen unter die Madrider Kontrolle gestellt werden. Innerhalb von sechs Monaten sollen Neuwahlen durchgeführt werden, aber nur »wenn die Lage stabil ist«, so Rajoy auf die wenigen von ihm zugelassenen Nachfragen.

Die Maßnahmen sollen am Freitag vom Senat abgenickt werden. Dort hat Rajoys Volkspartei (PP) eine absolute Mehrheit. Die PP, einst von Franco-Ministern gegründet, will in Katalonien durchregieren, wo sie aber nur gut acht Prozent der Wähler vertritt. Niemand könne sich gefallen lassen, dass Puigdemont Spanien ein Projekt »aufzwingen« wolle, sagte Rajoy. Gemeint ist das Unabhängigkeitsreferendum.

Bis Freitag will Puigdemont das katalanische Parlament nun einberufen, um über Konsequenzen daraus zu debattieren, dass Rajoy offenbar keinen Dialog will. »Wir können diesen Angriff nicht akzeptieren«, sagte er. Jetzt »müssen wir friedlich und zivilisiert unsere Institutionen verteidigen«.

Das hatten zuvor zwischen einer halben und einer Million Menschen getan, die für die Freiheit von politischen Gefangenen im Zentrum Barcelonas protestiert hatten. Von Demonstration konnte keine Rede sein, da alle Straßen verstopft waren. Auf Antrag des Ministeriums für Staatsanwaltschaft waren der Präsident des Katalanischen Nationalkongresses, Jordi Sànchez, und der Chef der Kulturorganisation Òmnium Cultural, Jordi Cuixart, inhaftiert worden. In einer Grußbotschaft forderten beide aus dem Gefängnis heraus dazu auf, an der Unabhängigkeit festzuhalten.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.