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»Die Ampel steht auf Rot«
Das blamable 2:3 gegen Island bringt Bundestrainerin Steffi Jones in die Bredouille
Eigentlich war das Teamhotel der deutschen Frauen-Nationalmannschaft direkt am Kranzplatz von Wiesbaden ideal gelegen, um am Wochenende mal abzuschalten. Wer durch die Drehtür nach draußen geht, fällt fast in die Fußgängerzone mit seinen vielfältigen Einkaufsmöglichkeiten und zahlreichen Cafés. Kurpark und Spielcasino liegen gleich gegenüber. Doch der Ablaufplan von Babett Peter, Alexandra Popp und Co. hatte sich am Samstag radikal geändert. Eine Aussprache hinter verschlossenen Türen und ohne das Trainerteam von Steffi Jones stand auf einmal am Vormittag auf dem Programm. Den freien Nachmittag hatte die Bundestrainerin ohnehin gestrichen.
»Stattdessen mussten die Spielerinnen in ihren jeweiligen Mannschaftsteilen eine Spielanalyse erarbeiten, die dann gemeinsam mit dem Trainerteam besprochen wurde«, hieß es später aus dem Quartier. Zudem richtete Jones noch einmal klare Worte an die Mannschaft, was sie im WM-Qualifikationsspiel gegen die Färöer am Dienstag (16.10 Uhr/ARD) in Großaspach erwartet: »Eine dementsprechende Antwort - und mehr.« Gemeinhin sind die Kräfteverhältnisse so, dass der aktuelle Olympiasieger, zweifache Welt- und achtfache Europameister gegen einen Gegner aus dem Nordmeer auch gewinnen sollte, wenn die Spielerinnen ohne jedes Training und ohne jede Vorgaben antreten. Auf den Färöern sind keine 400 Fußballerinnen über 18 Jahre registriert. Das wäre so, als spielte die DFB-Elite morgen gegen die Frauen-Auswahl von Backnang. Da müsste man siegen, auch wenn alle nur mit links schießen dürfen. Aber so sicher scheint das alles auf einmal nicht mehr.
Mit der 2:3-Heimblamage gegen Island ist das Selbstverständnis einer führenden Frauenfußball-Nation in seinen Grundfesten erschüttert. Jones malte das Bild von einer Ampel, die auf Rot stehe. In der blechernen Heimstätte des SV Wehen Wiesbaden diskutierten die Trainerin und die Führungsspielerin Popp am Freitagabend heftig auf dem Rasen. »Es muss knallen«, forderte die Angreiferin des VfL Wolfsburg hernach martialisch und stellte richtigerweise noch fest: »Wir machen gerade alles kaputt, was wir uns im deutschen Frauenfußball über Jahre aufgebaut haben.«
Nach der Videoanalyse ließ die 26-Jährige wissen: »Es wird einem bewusst, welche Chance wir fahrlässig verspielt haben.« Sich nämlich direkt für die WM 2019 in Frankreich zu qualifizieren. Ein Umweg über nervenaufreibende Playoffs - von den vier besten Gruppenzweiten qualifiziert sich nur noch einer - ist nicht mehr unwahrscheinlich. Es braucht wohl auf jeden Fall einen Sieg am 1. September 2018 im Rückspiel auf Island. Eine missliche Lage, die in den nächsten Monaten wie Blei auf allen Protagonisten lasten wird.
Zudem hatte sich Jones mit ihrer Manöverkritik (»Es ist sehr ärgerlich, wenn man als Trainerin feststellt, dass die Mannschaft trotz guter Vorbereitung auf den Gegner nicht dagegen hält.«) angreifbar gemacht. Motto: Wir haben doch auf alles hingewiesen, nur ihr habt nicht zugehört. Die Bundestrainerin brachte sich damit nur noch mehr in die Bredouille. Denn die 44-Jährige trug mit dem völlig unnötigen Torwartwechsel - Laura Benkarth für Almuth Schult - eine gehörige Mitschuld an der in allen Mannschaftsteilen mit Händen greifbaren Verunsicherung.
Die nach der verkorksten EM in den Niederlanden mit einer Vertragsverlängerung bis 2019 belohnte Jones wirkt teilweise überfordert. Nette Umgangsformen ersetzen nicht die nötige Praxiserfahrung, soziale Kompetenz ist mit fachlicher Expertise nicht zu verwechseln. Wohl auch, um seine Fußballlehrerin zu schützen, ließ der DFB von Ersatzkapitänin Peter mitteilen: »Steffi wollte uns mit ihrer emotionalen öffentlichen Kritik aufrütteln.« Der Weckruf sei dringend nötig gewesen.
Besser wäre es, rasch die Grundsatzfragen zu beantworten. Welchen Führungsstil braucht es? »Wenn es die fehlende Peitsche ist, gebe ich die gerne«, drohte die eigentlich harmoniebedürftige Frankfurterin, die indes kaum authentisch wäre, würde sie dauerhaft den eher unbeugsamen Stil ihrer Vorgängerin Silvia Neid nachahmen. Welches System soll es denn jetzt sein? Gegen Island kam plötzlich die einst bei Neid heilige 4-2-3-1-Formation zur Aufführung, wo doch unter Jones zuvor stets das 4-4-2 mit Raute gespielt wurde.
Will der deutsche Frauenfußball international nicht den Anschluss verpassen, muss der neue DFB-Supermanager Oliver Bierhoff alsbald eine gründliche Aufarbeitung anstoßen, was inzwischen auch im Nachwuchsbereich, in der Ausbildung der Spielerinnen und Trainerinnen und nicht zuletzt im Alltag der Frauen-Bundesliga schiefläuft. Dass der Vizemeister FC Bayern beispielsweise gerade das zweite Mal in der ersten Runde der Women’s Champions League scheiterte, war vielleicht auch Ausdruck dessen, dass Melanie Leupolz, Leonie Maier oder Sara Däbritz in ihrer Entwicklung stagnieren. Sich daher am Wochenende in Wiesbaden ausschließlich mit Fußball zu beschäftigen, kann da schon einmal nicht schaden.
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