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21 Prozent der Kinder leben dauerhaft in Armut

Recht auf »unbeschwerte Kindheit«: Paritätischer Wohlfahrtsverband legt Forderungskatalog vor

  • Lesedauer: 4 Min.

Gütersloh. Jedes fünfte Kind in Deutschland lebt nach Erkenntnissen der Bertelsmann-Stiftung für längere Zeit in Armut. 21 Prozent befänden sich über eine Spanne von mindestens fünf Jahren »dauerhaft oder wiederkehrend« in einer Armutslage, erklärte die Stiftung am Montag in Gütersloh unter Berufung auf eine in ihrem Auftrag erstellte Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Nürnberger Bundesagentur für Arbeit.

Die Forscher werteten Daten für 3180 Kinder über einen Zeitraum von fünf Jahren aus und konnten so nachvollziehen, wie sich die Einkommenssituation in deren Haushalten in dieser Zeit änderte. Demnach war Armut für zehn Prozent der Kinder ein kurzzeitiges Phänomen, für 21 Prozent allerdings ein dauerhaftes Problem. »Kinderarmut ist in Deutschland ein Dauerzustand - wer einmal arm ist, bleibt lange arm«, erklärte Stiftungsvorstand Jörg Dräger. »Zu wenige Familien können sich aus der Armut befreien.«

Armut ist nicht nur ökonomisch

Er forderte ein grundsätzliches Umdenken in der Familien- und Sozialpolitik, um »die Vererbung von Armut« zu durchbrechen. Im Sozialgesetzbuch würden Kinder bislang wie »kleine Erwachsene« behandelt. Stattdessen müsse sich Förderung daran orientieren, ihnen ein »gutes Aufwachsen« zu ermöglichen, betonte Dräger.

Die Studie definiert Armutslage als Zustand, in dem eine Familie mit Kindern mit weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommens auskommen muss oder aber staatliche Grundsicherungsleistungen bezieht. Armutsdefinitionen sind aber nicht unumstritten. Die Bertelsmann-Stiftung unterstrich, dass Armut in Deutschland in der Regel nicht heiße, dass die »existenzielle Grundversorgung« fehle. Betroffene müssten jedoch auf vieles verzichten.

Als einen »Beleg des armutspolitischen Scheiterns« bewertet der Paritätische Wohlfahrtsverband die aktuelle Studie. Der Verband appelliert an die künftigen Koalitionäre, dem Thema Armutsbekämpfung endlich Priorität einzuräumen.

Wohlfartsverband fordert Recht auf »unbeschwerte Kindheit«

»Es ist einfach beschämend, wie viele Kinder in diesem reichen Land in Armut aufwachsen. Wir reden hier von Millionen Kindern, die Ausgrenzung und Mangel Tag für Tag als Normalität erfahren, statt eine unbeschwerte Kindheit genießen zu dürfen. Es ist ein unglaubliches armuts- und gesellschaftspolitisches Versagen, das sich in diesen Zahlen ausdrückt«, so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands.

Der Paritätische fordert von der künftigen Bundesregierung ein umfassendes Maßnahmenpaket, das nicht nur die Kinder, sondern die ganze Familie in den Blick nimmt. »Wir werden die Kinder auch mit noch so vielen Bildungsprogrammen niemals aus der Armut herausbekommen, wenn wir nicht die finanzielle Situation für die ganze Familie verbessern. Es gibt keine armen Kinder ohne arme Familien«, so Schneider.

Was getan werden müsste

Konkret fordert der Verband die Einführung einer Kindergrundsicherung in Höhe von 573 Euro, einen einklagbaren Rechtsanspruch auf Angebote der Jugendarbeit, eine bedarfsgerechte Erhöhung der Regelsätze auch für die Eltern in Hartz IV, einen Ausbau öffentlich geförderter Beschäftigung und weitere passgenaue Hilfen für Langzeitarbeitslose sowie gezielte Angebote zur Unterstützung Alleinerziehender.

Die LINKEN-Vorsitzende Kataja Kipping erklärte, dass die »dramatische Verfestigung der Kinderarmut« ein Armutszeugnis für die politisch Verantwortlichen »in einem der reichsten Länder der Welt« sei. Nicht erst seit gestern laufe etwas falsch. »Gerade von einer möglichen Jamaikakoalition, der Koalition der Reichen, ist sozialpolitisch leider keine Besserung zu erwarten.«

»Die Bekämpfung der Armut von Kindern und Familien gehört ganz oben auf die Agenda bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen«, forderte Caritas-Präsident Peter Neher. Er riet dazu, »in den Geburtsklinken flächendeckend präventive Lotsendienste einzuführen, damit alle Eltern Zugang zu Frühen Hilfen erhalten«. Laut Diakonie sind gezielte Hilfen insbesondere für Alleinerziehende, Familien von Langzeit-Erwerbslosen und für kinderreiche Familien nötig. »Dazu brauchen wir eine einheitliche Sockelförderung als Kindergrundsicherung sowie kostenlose Verpflegung in Kita und Schule, Bildungsförderung, Beratungs- und Freizeitangebote«, sagte Vorstandsmitglied Maria Loheide.

Die Datenbasis für die Untersuchung lieferte das repräsentative Panel Arbeitsmarkt und Soziale Sicherung, für das seit 2006 jährlich etwa 15.000 Menschen im Alter ab 15 Jahren befragt werden. Es erlaubt so, die Einkommenssituation nachzuvollziehen. Agenturen/nd

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