Mörderische »Selbstversorger«

Ein »Reichsbürger« muss lebenslang hinter Gitter - Tausende bekämpfen den Staat weiter

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.

Dezember 2015. Polizisten versuchen, auf der A 63 bei Göllheim ein Fahrzeug anzuhalten. Dessen Nummernschilder waren auf dem Kopf stehend montiert. Im Bericht heißt es: »Auf Anhaltezeichen reagierte der 54-jährige Pkw-Fahrer nur mit Kopfschütteln.« Letztlich stoppte er dann doch, weigerte sich jedoch, seinen Ausweis und die Fahrzeugpapiere vorzuweisen. Zitat Polizeibericht: »Daraus entwickelte sich eine sehr lange Diskussion, weil der Mann aus Bad Homburg der festen Überzeugung war, dass die Bundesrepublik nicht existent sei und er sich als Reichsbürger verstehe.« Wie zum Beweis legitimierte er sich mit einem »deutschen Staatsangehörigenausweis« einer Fantasiebehörde und erklärte, die Autonummer habe er deshalb auf dem Kopf montiert, »weil hier alles durch die Alliierten auf den Kopf gestellt worden sei«. Die Polizisten verboten dem Mann die Weiterfahrt. »Zähneknirschend« rückte der 54-Jährige daraufhin seinen Führerschein heraus »und montierte die Nummernschilder richtig herum«. Nicht immer setzen sich die Behörden so deutlich und letztlich gefahrlos gegen sogenannte Reichsbürger durch, wie in diesem Fall.

Bayern, Gemeinde Georgensgmünd am 19. Oktober vergangenen Jahres. In dem mittelfränkischen Landkreis Roth begann um 6 Uhr ein anderer Polizeieinsatz. Die zuständige Behörde hatte dem Hauseigentümer das Waffenbesitzrecht aberkannt. Was Wolfgang P. aber ignorierte. Wie andere behördliche Forderungen auch. P. sah sich gleichfalls nicht mehr als Bürger der Bundesrepublik Deutschland und hatte seinen Personalausweis bereits Anfang 2016 im Einwohnermeldeamt abgegeben.

Man ahnte also im Amt, dass es nicht leicht werden würde, die 31 Waffen des als unzuverlässig eingestuften Jägers abzuholen. Schließlich war am Hauseingang zu lesen: »Regierungsbezirk Wolfgang«. Und: »Mein Wort ist hier Gesetz!« Die Polizei, die um Amtshilfe gebeten worden war, schickte in weiser Voraussicht ein Spezialeinsatzkommando. Doch das geriet unter Feuer. Ein Polizist wurde getötet, zwei andere verletzt.

»Aus dem Hinterhalt« habe Wolfgang P. elfmal auf die Beamten geschossen - mit dem Ziel, möglichst viele von ihnen zu verletzen und zu töten, betonte der Staatsanwalt in seiner Anklage und forderte eine lebenslange Haftstrafe. P. dagegen ließ seine Verteidigerin mitteilen, er habe an einen Überfall geglaubt und sich bedroht gefühlt. Der Ansicht folgte das Gericht nicht. Die Richter verurteilten den Angeklagten zu einer lebenslangen Haft. Doch eine besondere Schwere der Schuld, wie es der Staatsanwalt gefordert hatte, sahen sie nicht. Ergo: Laut Urteil ist eine vorzeitige Entlassung des Mörders möglich.

Parallel zum Prozess in Nürnberg läuft in Halle einer gegen einen weiteren Mann vom Schlage »Reichsbürger«. Adrian U. war einst »Mister Germany«. Man hat ihn angeklagt, weil er bereits im August 2016 auf einen Polizisten geschossen haben soll. Pikant: U. ist Facebook-Freund von Wolfgang P.. Nur ein Zufall?

»Reichsbürger«? Was sind das eigentlich für Typen? Mitarbeiter von Behörden in Landkreisen, Steuerbeamte und Gerichtsvollzieher kennen die bereits seit Jahren, wissen, wie nervig sie sein können. Sie überfluteten die Amtsgewalt mit Anträgen und Ablehnungen, ignorierten Mahn- und Zahlungsaufforderungen, pöbelten in Rathäusern herum, schütteten Staatsanwaltschaften mit Anzeigen zu, zahlten keine Steuern. Warum auch? Nach ihrer Ansicht ist die Bundesrepublik kein souveräner Staat, sondern ein Ableger der Alliierten, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges die eigentliche Kontrolle über Deutschland ausüben. Ein Gedanke, der auch in angeblich linken Kreisen bisweilen Verbreitung findet.

Lange Jahre billigte man »Reichsbürgern« den Status von Querulanten und Spinnern zu. Ein Stammtischproblem. Man unterschätzte Anzahl und den Vereinigungsgrad, forschte nicht nach deren ideologischen Gemeinsamkeiten, sprach ihnen sogar die Nähe zu Rechtextremismus ab. Und verlor Zeit bei der Abwehr des Phänomens.

Bis zu den Schüssen in Georgensgmünd ließen Bund und Länder die unteren Behörden weitgehend allein mit dem sich ausbreitenden Problem. Erst Ende 2016 kam Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) mit seinen Länderkollegen überein, die Bewegung von den Verfassungsschutzbehörden überwachen zu lassen. Bis dahin erfasste man die von »Reichsbürgern« begangenen Straftaten nicht gesondert. Erst »rückwirkend zum 1. Januar 2017« gebe es nun im Kriminalpolizeilichen Meldedienst Politisch motivierte Kriminalität (PMK) den Oberbegriff »Reichsbürger/ Selbstverwalter«, erklärte die Bundesregierung Ende Februar auf eine Kleine Anfrage der Bündnisgrünen Irene Mihalic. Erst nach den Schüssen von Georgensgmünd, schätzten die Innenbehörden ein, dass das »Personenpotenzial von «Reichsbürgern» derzeit bei etwa 10 000 Personen« liege, dass es Netzwerke gebe und mithin die Gefahr beachtlich sei. Wohl auch, weil offenbar zahlreiche Beamte - darunter sogar Polizisten und Bürgermeister - auf den von ihnen geleisteten Eid pfeifen und sich der Autonomiebewegung angeschlossen haben.

»Wir sehen bei Teilen der Reichsbürgerszene eine erhebliche Gewaltbereitschaft. Umso problematischer ist es, dass so viele von ihnen eine Waffenberechtigung haben. Daher werden in Zusammenarbeit mit den Ländern die waffenrechtlichen Erlaubnisse überprüft. Prioritäres Ziel ist es, auf deren Entzug hinzuwirken«, sagt der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen. Das klingt vage und ist es auch. Der Geheimdienst geht davon aus, dass rund 700 der von ihm als »Reichsbürger« erkannten Personen, legal Waffen besitzen. 500 bis 600 müssten direkt als Rechtsextremisten angesehen werden. Man muss wohl von einer hohen Dunkelziffer ausgehen.

Ähnlich ahnungslos wie einst die »Reichsbürger« betrachten die zuständigen Behörden übrigens einen Gutteil der sogenannte Prepperszene. Dass die nur Katastrophenvorsorge betreiben, ist in vielen Fällen ein Märchen für Blauäugige.

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