Werbung

Enttäuschung und Entsetzen

Die Einwohner im thüringischen Themar sehen sich mit einem weiteren Neonazi-Konzert konfrontiert

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 3 Min.

Es sind zwei Gefühle, die diesen Abend in Themar prägen; einen Abend, an dem wieder viele Menschen in ein Gemeindezentrum in die Mitte des Ortes gekommen sind, um darüber zu reden, wie die Lage in der Stadt ist, in der im Sommer die größte Neonazi-Musikveranstaltung in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges stattfand. Etwa 6000 Rechtsextreme aus ganz Europa waren im Juli nach Themar gekommen und hatten sich so sehr am Hassrock berauscht, dass mitten in der Nacht Hunderte Neonazis den rechten Arm nach oben warfen und »Sieg Heil« brüllten, während Polizisten - von denen zu wenige vor Ort waren - zusahen und zuhörten.

Dass wieder so viele Menschen - es dürften etwa 100 sein - in das Gemeindezentrum gekommen sind, dürfte auch damit zusammenhängen, dass sich bewahrheitet, was viele unmittelbar nach diesem Konzert vorausgesagt hatten: Solange man ihnen nicht entschlossen entgegentritt, werden die Rechten immer wieder nach Themar kommen; vor allem, weil ihnen dort ein Grundstückseigentümer eine große Wiese zur Verfügung stellt. Nun, für den 28. Oktober, ist erneut ein Rechtsrock-Konzert an genau diesem Ort angemeldet. Nach Angaben des Landratsamtes Hildburghausen, in dessen Zuständigkeit Themar liegt, rechnet der Veranstalter mit etwa 750 Teilnehmern; wobei es sich von selbst versteht, dass auch dieses Hasskonzert wieder unter dem Deckmantel der Versammlungsfreiheit als politische Kundgebung aufgezogen wird.

Und weil damit das droht, was sie alle im Saal nicht wollen, ist die eine dominierende Emotion des Abends Enttäuschung, das Gefühl im Stich gelassen zu werden. Gekommen ist zwar der renommierte Berliner Politikwissenschaftler und Rechtsextremismus-Forscher Hajo Funke. Er spricht davon, wie gefährlich Rechtsextremismus ist; wie wichtig es ist, dass Zivilgesellschaft, Politik und Sicherheitsbehörden gemeinsam gegen den Rechtsextremismus vorgehen; er mag den Themaranern Mut zusprechen.

Die Menschen im Saal sprechen aber lieber darüber, dass sie es nicht verstehen, dass zum Beispiel Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei) in der Vergangenheit zwar eine »Präzisierung« des Versammlungsrechts gefordert hatte, um Rechtsrock-Konzerten den Schutz des Grundgesetzes zu entziehen - dieser Vorstoß aber bis heute ohne Ergebnisse geblieben ist. Wann wolle man denn nun endlich wirklich anfangen, klar zu definieren, wann etwas eine Versammlung sei und wann etwas nur dazu diene, diejenigen zu finanzieren, deren Ziel es sei, die Demokratie abzuschaffen, fragt zum Beispiel der Bürgermeister von Themar, Hubert Böse (parteilos).

Der Landrat Hildburghausens, Thomas Müller (CDU), argumentiert ähnlich. Er habe, sagt er, vor vier Wochen einen Brief an das Thüringer Innenministerium geschrieben, in dem er gebeten haben, ihm alle Informationen mitzuteilen, die seiner Versammlungsbehörde helfen könnten, gegen das nächste geplante Rechtsrock-Konzert vorzugehen. Bislang habe er darauf keine Antwort erhalten.

Ein Sprecher des Innenministeriums bestätigt die Existenz des Schreibens kurz nach diesem Abend. Das Ministerium, sagt er, wolle den Brief nach einem Treffen von Thüringens Innenminister Georg Maier mit den kommunalen Spitzenverbänden zum Thema Rechtsrock beantworten. Es gehe ja darum, nicht nur das nächste, sondern langfristig alle weiteren Neonazi-Konzerte zu verhindern. Was Müller, Böse und den Menschen im Saal allerdings mit Blick auf den 28. Oktober überhaupt nichts bringt.

Bleibt das zweite Gefühl, das diesen Abend dominiert und für das sie im Ort niemanden in Erfurt verantwortlich machen können: Entsetzen.

Entsetzen darüber, dass ausgerechnet in Themar, das im Sommer selbst international für seinen beherzten Widerstand gegen die Neonazis gefeiert worden ist, die AfD bei der Bundestagswahl stärkste Kraft geworden ist. Die Rechtspopulisten kamen dort auf 26,5 Prozent der abgegebenen Zweitstimmen. »Für uns in Themar ist das alles andere als erfreulich gewesen«, sagt Böse. Und: »Das macht mir Sorgen, inwieweit ich meine Stadtbevölkerung richtig eingeschätzt habe.« Andere sprechen sogar davon, man müsse der Tatsache ins Auge sehen: Beim Widerstand gegen Rechts »haben wir die Bevölkerung teilweise gegen uns«, sagt eine Frau.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -