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Schein und Sein der Landärzte

Weil die Wirklichkeit anders ist als einschlägige TV-Serien zeigen, schickt die Uni Jena Studenten auf Besuchstour

  • Sebastian Haak, Sonneberg
  • Lesedauer: 5 Min.

So richtig sieht das Facharztzentrum im südthüringischen Sonneberg nicht nach einer Landarztpraxis aus. Jedenfalls nicht dann, wenn man die Landarztpraxen zum Vergleichsmaßstab nimmt, die häufig in TV-Filmen zu sehen sind, die im Zweiten Deutschen Fernsehen laufen. Oftmals ist ihnen Werbung für Haftcreme, Rheumasalbe oder Hochprozentiges vorgeschaltet, das sowohl zur inneren als auch zu äußeren Anwendung geeignet ist.

Im Unterschied zum Fernsehen, wo die Wartezimmer leer und im Landhausstil gehalten sind, der Arzt hinter einem riesigen Schreibtisch sitzt und sich vor allem die Beziehungsprobleme seiner Patienten anhört, sind die Räume in Sonnebergs Facharztzentrum hell und funktional. Und in vielen Behandlungszimmer stehen keine Schreibtische, sondern medizinische Gerätschaften aller Arten - unter anderem für Innere Medizin, für Dermatologie, für Palliativmedizin sowie für Allgemeinmedizin. Die dominante Farbe in Sonneberg ist nicht Landhaus-Braun, sondern Orange.

Nun mag man argumentieren, dass Sonneberg im ländlich geprägten Thüringen - als Noch-Kreisstadt - ohnehin nicht der Ort ist, an dem ein echter Landarzt sitzt. Oder sitzen sollte. Weil es im Freistaat freilich noch ländlichere Orte gibt als die 24 000-Einwohner-Stadt Sonneberg. Doch die Landärzte der Zukunft werden eher in Orten wie Sonneberg sitzen als in einem 300-Seelen-Dorf. Denn die medizinische Versorgung wird sich in den nächsten Jahren mehr und mehr auf die Zentren konzentrieren. Auf urbane Zentren. Auf die Zentren des ländlichen Raums. Alle, die sich mit der Medizin der Zukunft beschäftigen, wissen das.

Der Ärztliche Leiter des Facharztzentrums Sonneberg, Christian Franke, hadert ohnehin mit dem Begriff »Landarzt«. Auch wegen dem Image, das eben zum Beispiel in ZDF-Filmen transportiert wird. Franke, ein Facharzt für Innere Medizin, nennt diesen Umstand unter anderem ein »sprachliches Hindernis«. »Landarzt - das wirkt doch abschreckend«, sagt er. Das gelte umso mehr, weil angehende Mediziner immer in Städten ausgebildet werden, in Universitätsstädten. »Das ist für viele Menschen die glücklichste Zeit ihres Lebens«, sagt Franke. Eine Zeit also, in der die Studenten - gleich woher sie kommen - das Stadtflair erleben. »Da ist es doch eine auch emotionale Barriere, wenn ich mir in dieser Zeit vorstellen soll, als Landarzt zu arbeiten.« Viele, sagt er, würden dieses Dasein doch tatsächlich mit der Arbeit am Schreibtisch und mit Hausbesuchen verbinden.

Weil diese Vorstellungen nur selten der Wirklichkeit entsprechen, ist Frankes Facharztzentrum einer von mehreren Thüringer Orten, die etwa zwanzig Medizinstudenten der Friedrich-Schiller-Universität Jena unlängst besuchten. Sie sollen eine realistischere Vorstellung davon erhalten, wie es ist, in der ambulanten Medizin zu arbeiten. In der Stadt. Oder aber auf dem Land. Entweder, indem sie sich nach dem Abschluss mit einer eigenen Praxis niederlassen und selbstständig machen. Oder indem sie in ein Facharztzentrum wie in Sonneberg gehen. Wobei Franke glaubt, dass die aktuelle Ärztegeneration tendenziell eher dazu neigt, sich eine Festanstellung zu suchen. »Ich glaube, diese ganz klassische Einzelpraxis wird in Zukunft noch viel schwieriger zu besetzen sein«, sagt Franke. »Es ist wichtig für Ärzte, sich zusammenzutun.«

Mit der Rundreise, sagt Christin Walther, eine der Initiatorinnen des Projekt, sollten die angehenden Mediziner erfahren, wie vielfältig und wie spezialisiert die ambulante Medizin - unabhängig vom Ort - sein kann und vielfach schon heute ist.

Doch reichen solche Kurztrips aus, um das Bild zu ändern, das Medizinstudenten von Landärzten haben? Für den 29-jährigen Medizinstudenten Christian Fischer beispielsweise liegt es sehr wohl im Bereich des Denkbaren, sich im ländlichen Raum mit einer Praxis niederzulassen. Vielleicht sogar als Hausarzt; einem Bereich also, der bei aller Spezialisierung und Technisierung der Medizin tatsächlich viel mit Diagnosen am Schreibtisch und Hausbesuchen zu tun hat. »Das muss man wollen«, sagt Fischer, der bereits eine dreijährige Ausbildung zum Krankenpfleger absolviert und auch mehrere Jahre in diesem Beruf gearbeitet hat. Er ist einer der Studenten, die das Facharztzentrum Frankes besuchen.

Der Reiz an einer eigenen Praxis, sagt Fischer, liege für ihn darin, »in gewisser Weise sein eigener Chef sein zu können«. Zudem habe man gerade als Hausarzt einen sehr engen Kontakt zu seinen Patienten, begleite ihre Genesung Schritt um Schritt, sehe sie nicht nur für die eine oder die andere Untersuchung und Diagnose. Dass es dieser Job mit sich bringt, stets und ständig zu arbeiten und gerade in einem Dorf von einem Nachbarn auch dann um eine Diagnose gebeten zu werden, wenn andere längst Feierabend haben, das alles, sagt Fischer, nehme er bewusst in Kauf.

Die entscheidende Voraussetzung, die Fischer mitbringt, um sich ein solches Leben vorstellen zu können: Er ist selbst auf dem Dorf aufgewachsen, in Oberweißbach, das nicht weit entfernt von Sonneberg liegt. Zudem er ist bereits in einer Lebensphase, in der er kein Suchender mehr ist. Er habe, sagt Fischer, eine Freundin, die auch in der Region arbeite. Gemeinsam hätten sie ein Kind. »Da zieht mich nichts in die Stadt«, sagt er. »Ich möchte in der Region bleiben.«

Ein Einzelfall ist Fischer mit dieser Biografie und den sich daraus ergebenden Vorstellungen für die Zukunft nicht. Auch Christin Walther - die als sogenannter Ärztescout an der Friedrich-Schiller-Universität angehende Mediziner auf dem Weg in die ambulante Medizin berät - sagt, ihre Erfahrungen mit Medizinstudenten zeigten, dass sich diejenigen, die selbst auf dem Land aufgewachsen sind, am ehesten vorstellen könnten, auf dem Land zu arbeiten.

Franke meint, zwar seien zum Beispiel Landarzt-Stipendien für Medizinstudenten ebenfalls ein gutes Instrument, jungen Menschen den Weg hin zum ländlichen Raum zu weisen. Ähnliche Angebote machen seit einigen Jahren schon unter anderem das Land Thüringen und die Kassenärztliche Vereinigung Thüringen. Allerdings sagt Franke auch, er glaube nicht, dass solche Stipendien allein für junge Mediziner der entscheidende Faktor seien, sich für oder gegen eine Tätigkeit im Freistaat mit seinem großen ländlichen Raum zu entscheiden. »Das ist für eine gesamte Lebensplanung sicher nicht der ausschlaggebende Punkt.«

Umso mehr ist es schließlich - Stichwort Lebensplanung - eben doch entscheidend, dass junge Menschen ein realistisches Bild davon haben, wie das Leben und Heilen als Landarzt funktioniert. Wobei es schon hilfreich ist, wenn sie wissen, dass es nicht so ist, wie im ZDF regelmäßig suggeriert und stilisiert wird.

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