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Mit Jamaika wird es kälter
Die Gewerkschaften sehen mit einiger Sorge auf eine mögliche Koalition aus CDU/CSU, FDP und Grünen
Die anstehende Bildung einer Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, FDP und Grünen im Bund und der Einzug der Rechtspartei AfD in den Bundestag bringen auch für die Gewerkschaften neue Herausforderungen mit sich. So ruft der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske die DGB-Gewerkschaften zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der AfD und insbesondere mit deren radikal neoliberalen Programmpunkten auf. »Wir müssen deutlich machen, wofür diese Partei steht, etwa in Fragen der Renten- und Sozialversicherung«, so Bsirske. »Wir haben es da mit Leuten zu tun, die prüfen wollen, ob man die Sozialversicherungen nicht komplett privatisieren sollte«, so der ver.di-Chef. Wenn AfD-Chef Jörg Meuthen sage, er wolle das »links-rot-grün verseuchte 68er-Deutschland« beseitigen, dann sei dies ein »Kulturkampf gegen Frauenemanzipation, Gleichstellung, Öffnung der Gesellschaft und kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Nationalgeschichte«, so Bsirske.
Dass die DGB-Gewerkschaften die AfD nicht wie andere Parteien behandeln werden, stellte auch DGB-Chef Reiner Hoffmann klar. Zwar ließe sich eine Zusammenarbeit mit AfD-Abgeordneten, die als Ausschussvorsitzende fungieren, nicht völlig ausschließen. Mit Fraktion und Partei werde es allerdings »keinerlei Berührungspunkte« geben, so Hoffmann. Diese Position verträten alle acht DGB-Mitgliedsgewerkschaften unisono, betonte er.
Demgegenüber pflegt der konservative gewerkschaftliche Konkurrenzverband DBB Beamtenbund und Tarifunion (DBB) schon seit geraumer Zeit auf Landesebene einen regen Austausch mit AfD-Parlamentariern. So war AfD-Landes- und Fraktionschef André Poggenburg zusammen mit zwei Fraktionskollegen, die selbst Polizeibeamte sind, beim Gewerkschaftstag des DBB Sachsen-Anhalt im Frühjahr ein gern gesehener Gast. »Mit Herrn Ladebeck kamen wir einmal mehr sehr konstruktiv ins Gespräch«, so Poggenburg über den DBB-Landeschef. Auch in Rheinland-Pfalz ist die AfD-Landtagsfraktion längst eine Ansprechpartnerin für den DBB geworden. »Die AfD versucht, sich dem DBB als parlamentarischer Arm anzudienen, und der DBB macht diese Partei gesellschaftsfähig und wertet sie auf«, so Klaus Schabronat von der DGB-Bildungsgewerkschaft GEW.
Abgesehen von programmatischen Abgründen zwischen AfD und DGB sorgen die Betriebsratswahlen im kommenden Jahr für zusätzlichen Ärger. So rechnen Gewerkschafter damit, dass die AfD versuchen könnte, eigene Kandidatenlisten für die Betriebsräte aufzustellen und damit dem DGB das Wasser abzugraben. Ungeachtet der strikt arbeitnehmerfeindlichen AfD-Programmatik sind auch gezielte Anbiederungsversuche von AfD-Funktionären gegenüber Belegschaften durchaus vorstellbar.
Schwieriger könnte für die Gewerkschaften die Einflussnahme auf politische Entscheidungen auch durch den Gang der SPD in die Opposition werden. Schließlich galt diese über Jahrzehnte als »natürlicher Ansprechpartner«. Doch spätestens seit der »Riesterrente« und der von SPD-Vizekanzler Franz Müntefering vor zehn Jahren eingebrachten »Rente mit 67« gibt es auch hier keine absolut »heile Welt« mehr. Nun scharrt vor allem die FDP, die nach acht Jahren zurück in die Regierung strebt, mit den Hufen und möchte weitere Privatisierungen und Maßnahmen zulasten der abhängig Beschäftigten und ärmeren Bevölkerungsschichten durchdrücken.
Konkret fürchten Gewerkschaften Angriffe auf das Arbeitszeitgesetz, das festlegt, dass täglich höchstens zehn Stunden gearbeitet werden darf und mindestens elf Stunden Pause zwischen Feierabend und Arbeitsbeginn liegen müssen. Andererseits gab sich Kanzlerin Angela Merkel bislang weitsichtig genug, um Gewerkschaftsapparate und Betriebsräte nicht frontal anzugreifen oder gar das Modell der deutschen »Sozialpartnerschaft« amtlicherseits aufzukündigen. »Ich halte die Sozialpartnerschaft in dieser Zeit für mindestens so wichtig wie in der Vergangenheit«, erklärte Merkel jüngst vor Gewerkschaftern. Stattdessen wurde und wird der Einfluss von Betriebsräten und Gewerkschaften mit wohlwollender Begleitung durch den Staat eher indirekt beschnitten - etwa durch prekarisierte Arbeitsmärkte, Tarifflucht und die Zerschlagung von Betrieben und Konzernen.
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