Costa Ricas natürlicher Reichtum

Kein anderes Land in Südamerika fördert so konsequent den Ökotourismus. Von Beate Schümann

  • Beate Schümann
  • Lesedauer: 6 Min.

Wenn er jetzt spucken würde! Wenn Lavafunken gen Himmel sprühen, Aschewolken durch die Luft jagen würden. Eine Faszination, in der sich Entsetzen und Anziehung gefährlich mischen. Immerhin ist der Arenal einer der aktivsten Vulkane von Costa Rica. Perfekt geformt, ragt der Kegel aus dem Horizont. Erst kürzlich brach der Turrialba nahe der Hauptstadt San José aus, den alle für erloschen hielten. Doch der Arenal bleibt ruhig und prahlt mit stolzer Schönheit.

Das mittelamerikanische Land ist kaum größer als Niedersachsen, aber unter ihm brodelt es. Mehr als 200 Vulkane versammeln sich auf dem engen Raum, sieben sind aktiv. Wanderer kommen dem Koloss im Arenal-Nationalpark auf angelegten Pfaden durch das 204 000 Hektar große Schutzgebiet noch näher. »Alle dachten, er sei ein ganz normaler Berg«, sagt Naturführer Henry Elizondo. Auf einmal brach er 1968 aus. Schnee von gestern, sagen die Leute heute. Im dichten Regenwald sind die Eruptionen schnell vergessen. Fast jedes Blatt hat Besonderheiten, die spannender sind. Henry erspäht ein schlafendes Faultier, aus dem Laub springt ein Nasenbär. Lieber Abstand halten. Der Coati-mundi ist zwar possierlich, bleibt aber ein Wildtier. Als nächstes sichtet Henry eine kürbisgelbe Greifschwanz-Lanzenotter - eine von 137 Schlangenarten in Costa Rica. Vögel piepen, kreischen, krächzen. Henry hat zu tun, alle zu bestimmen - es gibt davon rund 900 Arten.

Abends geht es mit Taschenlampe und Fotoapparat zur Froschexpedition. Der nachtaktive Rotaugenlaubfrosch ist das Ziel. Er und der Tukan sind die markantesten Tiere Costa Ricas. Henry hört Geräusche am Bach. »Er quakt nicht, er quiekt wie ein Küken«, ruft der Spurenleser und entdeckt auf einem Bambusblatt die Froschkönigin. Sie ist groß und bunt, ein Glücksfall. Greiffrösche leben in Bäumen, sie steigen nur zum Laichen herab. Tagsüber schlafen sie auf Blättern, ziehen die orangefarbenen Füße unter den blattgrünen Körper und verschwinden optisch in perfekter Camouflage.

In zwei bis drei Tagen ist man im Tropenwald gewandert, hat eine der heißen Thermalquellen durchschwommen und hätte noch Zeit für La Fortuna. Der Katastrophentourismus nach dem Ausbruch von 1968 hat die Stadt am Fuße des Vulkans schnell groß gemacht. Sie zählt vier Banken, 20 Souvenirshops, 30 Restaurants, eine Kirche und ist völlig gesichtslos. »Pura vida«, ruft einer im Park den unfrohen Passanten zu und meint: Was soll’s? Wir leben. Die Sonne scheint. Das Essen schmeckt. Das ist die Hauptsache. »Pures Leben« ist das Lebensmotto der Ticos, wie sich die Costa-Ricaner selber nennen. Sie finden, die Losung passe auf mindestens 99 Prozent aller Lebenslagen. Das ist sympathisch.

Wie mit La Fortuna ist es mit den meisten Städten. Als Kolumbus vor mehr als fünfhundert Jahren die Karibikküste erreichte, gab er dem Land den Namen Costa Rica - reiche Küste. Die Einwohner trugen Gold an Hals und Armen, die Spanier sahen sich ihrer Sehnsucht nahe. Doch die Funde waren bald erschöpft, die Eroberer verloren das Interesse. Daher bauten sie in der Kolonialzeit auch keine prächtigen Städte. Der Reichtum des kleinen Tropenlandes liegt nicht im kulturellen Erbe, sondern in der Natur, die zu den artenreichsten der Welt gehört. Ein Viertel der Fläche steht unter Schutz, gut die Hälfte davon liegt in 29 Nationalparks.

Costa Rica hat den Stellenwert der Natur früh erkannt und ist ein Pionier im Ökotourismus. Kein anderes Land in Südamerika setzt so konsequent auf nachhaltigen Tourismus mit ökologischen Richtlinien und Umweltprojekten. Ecolodges wurden gebaut, inzwischen sind es mehr als 300. Energie kommt aus Solarzellen, das Gemüse von der eigenen Biofarm. Mülltrennung gehört dazu sowie ordentliche Gehälter für Mitarbeiter. Das ICT kontrolliert, bewertet und zertifiziert Unternehmen nach sozialen und umweltfreundlichen Kriterien.

Auch die Ökolodge Casitas Tenorio bei Bijagua am Fuße des Tenorio-Vulkans trägt das Eco-Label. Die Australierin Phillippa Kelly und ihr costa-ricanischer Mann Donald Varela vermieten auf der väterlichen Hacienda am Rande des Tenorio-Nationalparks sechs komfortable Ferienhäuser. »Unsere europäischen Gäste suchen kein Hotel«, sagt die studierte Geologin. »Sie wollen nah an der Natur und den Menschen sein.« Statt Pool gibt es einen Bauernhof, Bücher statt TV. Donald hat Wanderwege im Regenwald entworfen, auf denen der ausgebildete Vogelkundler Gäste begleitet. »Der Erfolg des Ökotourismus ist im ganzen Land zu sehen«, sagt Kelly. Die Menschen leben bescheiden, aber weitgehend gut. Zwischen Monsterphilodendren und hohen Kapokbäumen wird der Tropenbiologe Vinicio Víquez im Tenorio-Nationalpark nachdenklich. »Die meisten Hotels sind in ausländischer Hand, das ist problematisch«, sagt er. Tourismus sei ein ähnlich fragiles System wie der Regenwald: »Alle kämpfen um Licht. Nicht allen gelingt es.«

Die Nicoya-Halbinsel liegt im Pazifik. Roberto Quirós ist Ranger hier im Nosara-Naturschutzgebiet. Sich als Naturreiseziel zu profilieren, hält er für die weiseste Entscheidung für die gesamte Entwicklung Costa Ricas. »Die Ökonomen stellten in den 1980er Jahren fest, dass die Einnahmen fünfmal höher lagen als die aus der Landwirtschaft«, sagt der Biologe. Und sie stiegen jedes Jahr.

Die Nicoya-Halbinsel ist eine Null-Stress-Zone. Der Sand mag gräulich sein, doch Strände reihen sich wie Perlen an der Schnur. Nicht nur unter Surfern sind sie ein Hotspot, sondern auch unter den Bastardschildkröten, deren Liebe besonders zum Ostinal-Strand entbrannt ist. Alljährlich zur Regenzeit von November bis Dezember steuern Tausende den Strand des gleichnamigen Dorfes an, um ihre Eier in den Dünen einzubuddeln. Mit der nächsten Flut folgen noch mehr Meeresschildkröten nach, graben die Eier der Vorgängerinnen wieder aus, um die eigenen hineinzulegen. Wissenschaftler bemerkten das Phänomen erst in den 1950er Jahren. »Früher sah der Strand wie ein Schlachtfeld aus Schalen und glitschigem Eipürree aus«, erinnert sich Quirós.

Als das Gebiet 1983 unter Naturschutz gestellt wurde, stand auch das Eiersammeln unter Strafe. Das führte zu Aufruhr unter den Einwohnern von Ostional. Sie waren von jeher Eiersammler und fühlten sich ihres Einkommens beraubt. Schätzungen zufolge geht es um rund dreißig Millionen Eier. »Es wurden Überlegungen für eine Koexistenz zwischen den Schildkröten und den rund 450 Dorfbewohnern angestellt«, sagt der 35-jährige Naturschützer. Seither dürfen sie die Gelege des ersten Schildkrötenschwarms kontrolliert einsammeln, weil sie vom nächsten ohnehin vernichtet worden wären. Warum die Invasion stattfindet, sei bis heute ungeklärt. »Die Ostional-Eier sind heute die einzigen legalen und tragen eine Kennzeichnung«, sagt Quirós. Deshalb bekommt man sie in Bars und Kneipen von Nicoya bis in die Hauptstadt San José - ökologisch korrekt roh zum Bier oder in Cocktails verrührt.

www.visitcostarica.com

Beste Reisezeit: Costa Rica ist ganzjährig gut zu bereisen. Die Hochsaison am Pazifik ist die Trockenzeit von Dezember bis April. In der Regenzeit von Mai bis November kann es zwar täglich für ein paar Stunden regnen. Doch die Niederschläge sind warm, und die Natur beeindruckt mit üppigem Grün. Im Hochland über 1200 Meter kann es kühl werden.

Tourguides: Die zertifizierten, meist englisch-sprachigen Guides sind Kenner von Natur und Landesgeschichte, individuell und für Gruppen buchbar: www.costaricantrails.com.

Anreise: Condor fliegt mehrmals pro Woche von Berlin nach San José. Außerdem wird San José von Lufthansa, Iberia und Air France angeflogen.

Pauschal: Costa Rica haben alle großen Veranstalter im Angebot.

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