Friedliche Koexistenz

Der Vormarsch der Goldschakale nach Mitteleuropa muss für Füchse keine Konkurrenz bedeuten. Von Kai Althoetmar

  • Kai Althoetmar
  • Lesedauer: 4 Min.

Während die Rückkehr der Wölfe nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz die Öffentlichkeit zunehmend polarisiert, hat sich ein Artverwandter dessen Eroberungszug klammheimlich angeschlossen: der Goldschakal. In Oberösterreich und am Neusiedler See ist er längst heimisch, in der Schweiz gab es bereits in sechs Kantonen Sichtungen, und in Deutschland hat sich der eher einzelgängerische Allesfresser sogar schon im Stadtwald von Greifswald in Vorpommern gezeigt. Inzwischen hat er auch die Niederlande und Dänemark erreicht. Der Klimawandel treibt Junggesellen auf Reviersuche weiter Richtung Nordwest. Milde Winter und der Wechsel von Wald und offener Landschaft kommen ihm zupass.

Welche Auswirkungen die Einwanderung von Goldschakalen auf den häufigsten Hundeartigen Mitteleuropas, den Rotfuchs, hat, ist bislang kaum erforscht. Weit verbreitet ist die Annahme, dass der Schakal den Fuchsbeständen durch Nahrungskonkurrenz zusetzt. Wissenschaftler haben nun in Bulgarien die Koexistenz beider Arten erforscht, indem sie deren Nahrung verglichen. Ihr im »Journal of Zoology« (Bd. 303, S. 64) veröffentlichtes Resultat: Beide Arten kommen zwar in den gleichen Lebensräumen vor, ernähren sich aber weitgehend unterschiedlich - was auf eine dauerhaft mögliche Koexistenz schließen lässt.

Das bulgarisch-japanische Forscherteam um Hiroshi Tsunoda vom Zentrum für Umweltwissenschaft im japanischen Saitama hatte in Zentralbulgarien über einen Zeitraum von zwölf Jahren den Mageninhalt von erlegten Schakalen und Füchsen untersucht. 315 Fuchs- und 196 Schakalmägen landeten unter dem Mikroskop. Obwohl Schakale in Bulgarien gejagt werden dürfen, hatte sich ihre Zahl von 1998 bis 2011 auf 40 000 Individuen verdoppelt. Damit ist Bulgarien Europas Hochburg der Goldschakale.

Der vor allem nachtaktive Ausdauerläufer ist größer als ein Fuchs, aber kleiner als sein natürlicher Feind, der Wolf, dessen Fortpflanzungsfreudigkeit er teilt. Heimisch ist Canis aureus ursprünglich in Afrika und auf der Arabischen Halbinsel. In der Sahelzone kommt er ebenso zurecht wie in den Regenwäldern Südostasiens. In Europa ist er schon lange auf dem Balkan präsent. Wo aber der Wolf aufkreuzt, muss er weichen.

Sowohl in flacheren Lagen wie auch im Gebirge Zentralbulgariens hatten sich die erlegten Schakale hauptsächlich von Aas ernährt, während Füchse in beiden Gegenden auf Nager spezialisiert waren. Im Flachland fraßen die Schakale vor allem Viehkadaver. Von den identifizierten Mageninhalten waren etwa ein Drittel Reste von Schaf, Ziege & Co. Der Rest entfiel auf wildlebende Paarhufer wie Hirsch und Wildschwein, auf Obst und Samen, Abfälle, Nagetiere, Hasen, Wildvögel und stibitztes Geflügel. Im fast durchgängig bewaldeten Hochland betätigten sich die Schakale ebenfalls als »Gesundheitspolizei«. 47 Prozent der Mageninhalte waren Aas von Rothirsch, Reh und Wildschwein. Der Rest verteilte sich vor allem auf Nager, Kleinvieh, Früchte und Abfall. Insgesamt ermittelten die Forscher einen durchschnittlichen Überlappungsgrad bei der Ernährung von Fuchs und Schakal von 52 Prozent in den Tälern und von 45 Prozent in den Hochlagen.

Die Konzentration auf Aas hat ihre Gründe. Goldschakale fallen Schafe nur selten an, ausgewachsene Hirsche und Wildschweine als Beute sind gleich mehrere Hausnummern zu groß für sie. Die Spezialisierung auf Aas erspart ihnen energetisch aufwendiges Jagen und die damit verbundenen Verletzungsrisiken. Meist sind Goldschakale allein oder paarweise unterwegs, selten bilden sie kleinere Rudel.

Anders der Speisezettel der Füchse: Im Flachland erwies sich Meister Reineke vor allem als Mäusejäger. Den weiteren Speiseplan bereicherten Aas von Vieh, Wildschwein, Reh und Hirsch sowie Obst und das ein oder andere Huhn aus Nachbars Garten. Im Hochland war seine Kost fast die gleiche, mit dem Unterschied, dass das Angebot verendeten Viehs geringer ausfiel.

Ob Fuchs und Schakal auch in anderen Regionen so gut koexistieren können wie in Bulgarien, bleibt fraglich. In Israel gingen einer anderen Studie zufolge die Fuchspopulationen zurück, als sich dort der Schakal ausbreitete. Aus Nordamerika ist zum Beispiel bekannt, dass Wolfsrudel Kojoten aus ihren Habitaten verdrängen, während Kojoten wiederum Füchsen das Leben schwer machen.

Aus Ungarn, wo Goldschakal und Rotfuchs ebenfalls Lebensräume teilen, ist eine viel stärkere Überschneidung von deren Kost bekannt - dort ist sie bis zu 85 Prozent identisch. Das große Angebot an Tierkadavern in Bulgarien verdankt sich einer Besonderheit: Kleinbauern und Jäger pflegen dort Schlachtabfälle und Reste erlegten Wildes im Wald zu entsorgen - ein in Mitteleuropa heutzutage eher unüblicher Brauch. Wo dieses Aasangebot nicht existiert, ist der Schakal stark auf Mäuse angewiesen. Und als Zivilisationsfolger, der wie der Fuchs nachts gerne durch Siedlungen schleicht, verschmäht auch der Goldschakal nicht die Angebote aus Garten und Geflügelzucht. Die Forscher folgern, »dass die Verfügbarkeit von Säugetierkadavern für die Dynamik des Wettbewerbs zwischen diesen Caniden zentral ist«, wie es in der Studie heißt.

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